"Wir haben zum ersten Mal Patientenrechte verankert"

Die neue Patientenbeauftragte Helga Kühn-Mengel über ihre Rolle, Reformfolgen und Selbsthilfeorganisationen

INTERVIEW
Die Gesundheitsreform bringt nicht nur neue Belastungen für die Patienten, sondern auch mehr Rechte. Diesen Spagat zwischen den Folgen soll die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, vollführen. Die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin der SPD muss zwischen den verschiedenen Interessen im Gesundheitswesen vermitteln. Über die Frage, welche Gruppen zu den chronisch Kranken zählen, etwa bahnt sich ein Streit zwischen den Krankenkassen und der neuen Patientenbeauftragten an. Von der Einordnung als chronisch Kranker hängt es nämlich ab, ob ein Patient nur bis zur Obergrenze von einem oder von zwei Prozent seines Jahresbruttoeinkommens zuzahlen muss. Über ihre Rolle zwischen Regierung und Patienten sprach FR-Redakteur Roland Bunzenthal mit Kühn-Mengel.

Frankfurter Rundschau: Was befähigt Sie zum Amt der Patientenbeauftragten?

Helga Kühn-Mengel: Erstmal ist es ein neues Amt und die Ministerin hat sicher die Wahl getroffen, weil ich das Gesundheitssystem recht gut kenne. Auch war ich in der Fraktion zuständig für die Bereiche Selbsthilfe, Qualität im Gesundheitswesen, Patientenrechte und Prävention.

Welche Rolle werden Sie zwischen den Patienten und der Regierung spielen?

Ich bin ja Parlamentarierin, habe aber so eine Rolle zwischen Parlament und Ministerium, wie das bei den Beauftragten so üblich ist. Sie haben die Aufgaben, die Interessen einer bestimmten Gruppe zu bündeln und in die Öffentlichkeit zu tragen.

Auch die Interessen der Patienten gegenüber der Regierung zu vertreten?

Selbstverständlich. Wir haben mit der Gesundheitsreform jetzt zum ersten Mal auch Patientenrechte an verschiedenen Stellen verankert. Dazu gehören zum Beispiel qualifizierte Informations- und Beteiligungsrechte von Patienten und Patientinnen, etwa beim Bundesausschuss. Es ist meine Aufgabe, diesen Prozess in der Umsetzung zu begleiten. Das zweite ist, dass ich den Dialog mit den Selbsthilfeorganisationen zu führen habe, aber ich bin auch Ansprechpartnerin für Bürger und Bürgerinnen, die an mich herantreten. Als Beauftragte bin ich eben auch dafür zuständig, das was Patienten an Erfahrungen machen, aufzugreifen.

Und wenn sich diese Erfahrungen gegen die Regierungspolitik richten?

Wir wissen, dass wir mit dieser Reform auch von Patienten ein Opfer zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenkasse erwarten und einfordern.

Was ist, wenn die Beitragssätze der Krankenkassen nicht wie erwartet sinken?

Diese Reform wird erfolgreich sein, wenn sie es nicht ist, wird über ganz andere strukturelle Veränderungen diskutiert werden müssen. Wir haben auf unserem Parteitag ja die Bürgerversicherung als Option beschlossen.

Droht dann eine neue Sparreform auf Kosten der Versorgungsqualität?

Qualität heißt ja nicht immer nur mehr Geld. Das ist ja ein ganz entscheidender Irrtum. Wir haben nach wie vor das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt und ich sage auch gar nicht, dass dieses System zu teuer ist, ich sage nur, dass die Qualität in manchen Feldern überprüft werden muss. Und bei den großen chronischen Krankheiten zum Beispiel ist die Versorgungsqualität im internationalen Vergleich nicht optimal und da müssen wir auch dran arbeiten.

Die Gesundheitsreform stellt einen Kompromiss dar. Bei welchen Punkten haben Sie selbst Bauchschmerzen?

Es ist ja nachzulesen in unserem eigenen Gesetzentwurf, was wir noch lieber durchgesetzt hätten. Ich sage mal Direktverträge, auch eine Modifizierung des Monopols der kassenärztlichen Vereinigungen, mehr Wettbewerb. Wir hätten sehr gerne auch hier Verkrustungen aufgebrochen und den Krankenkassen noch mehr Möglichkeiten gegeben, in Einzelverträgen Qualität zu befördern und zu belohnen, aber wir haben zum Beispiel Gesundheitszentren durchsetzen können, die integrierte Versorgung endlich verankert.

Bei der Umsetzung des Reformgesetzes zeichnen sich Konflikte ab, etwa über die Frage, wer zu den chronisch Kranken zählt.

Wir haben die Besonderheit, dass wir eine starke Selbstverwaltung haben mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss, der solche Fragen regelt. Dass wir an dieser Stelle jetzt zum Beispiel auch die Patientenvertretungen installiert haben, ist ein großer Fortschritt. Wir haben mit dem Gesetz den Bundesausschuss aufgefordert, eine Liste der chronischen Erkrankungen zu erstellen, was sie kurz vor Weihnachten abgeliefert haben. Das muss noch mal überprüft werden. Das war zu eng gefasst. Es muss hier eine vernünftige Liste her, die die Interessen der chronisch Kranken widerspiegelt.

Ein anderer Streitpunkt ist die Kassenerstattung von alternativen Therapieformen.

Auch hier haben wir dem Bundesausschuss gesagt, dass eine Liste erstellt werden muss. Wir haben ja selber im Gesetz auch schon die Ausnahmen beschrieben: bei Kindern und bei schweren Erkrankungen. Und auch hier muss sich der Bundesausschuss mit den Erwartungen beschäftigen, dass diese Liste alternative Behandlungsmöglichkeiten nicht vollständig ausschließt.

Dagegen stehen die Argumente der Schulmedizin.

Es ist beides wichtig. Es ist auch wichtig, dass es eine evidenzbasierte Medizin gibt, eine, wo ich auch sicher sein kann, dass ich unabhängig von Status und Bildung und Geld eine gute Behandlung erfahre, die sich auf dem neuesten wissenschaftlichen Standard befindet. Was Sie ansprechen, ist aber der Bereich der alternativen Medizin. Auch der ist wichtig, es gibt hier auch gute Ansätze. Oft ist der Nachweis schwierig und das ist ein Punkt, um den wir uns auch kümmern müssen, dass wir hier Möglichkeiten finden, dass auch solche Behandlungsformen sich profilieren können.

Was geschieht mit der Pflege?

Wir haben die Eckpunkte für ein Pflegegesetz vor Weihnachten besprochen und das wird jetzt das nächste Reformvorhaben sein. Hier, glaube ich, ist vielen Aspekten auch Rechnung getragen worden. Es wird eine Dynamisierung der Leistungen geben, es wird die Gruppe der demenziell Erkrankten auch mehr berücksichtigt und der ambulante Bereich wird gestärkt, das ist ganz wichtig.

Wie wollen Sie die Selbsthilfeorganisationen unterstützen?

Wir haben das ja schon mit der 2000er Reform gemacht. Erst mal haben wir die Prävention, die ja von der Vorgängerregierung sehr reduziert worden war, wieder gestärkt. und wir haben damals auch die Selbsthilfe unterstützt. Für die Prävention mussten fünf Mark pro Versicherten gezahlt werden, für die Selbsthilfe eine Mark. Damit wollten wir auch zum Ausdruck bringen, dass die Selbsthilfeorganisationen ein wichtiges Glied in der ganzen Behandlungskette darstellen und die Lücke schließen, die oft von den professionellen Anbietern im System nicht gefüllt werden kann. Aber das ist zum Beispiel so ein Punkt, Stärkung der Selbsthilfegruppen, bedeutet darauf zu achten, dass die finanzielle Unterstützung auch ankommt.


Quelle: Frankfurter Rundschau vom 2. Januar 2004

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Patientenbeauftragte rechnet mit großem Interesse

Arztpraxis (Foto: dpa)
Berlin (dpa) - Die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel (SPD), stellt sich auf ein großes Interesse an ihrer Arbeit ein. "Ich rechne damit, dass das wirklich einen erheblichen Umfang hat", sagte Kühn-Mengel am Freitag im ARD- "Morgenmagazin". Sie sei Ansprechpartnerin "für Verbände, Selbsthilfeorganisationen aber auch für einzelne Bürger und Bürgerinnen".

Es sei ihre Aufgabe, "auch die Patientenrechte, die jetzt neu im Gesetz verankert sind, in der Umsetzung zu begleiten und einzufordern", sagte Kühn-Mengel weiter. Die Patientenbeauftragte will einmal im Jahr einen Bericht herausgeben, zu dem, "was Patienten erfahren, was sie an konkreten Anliegen hervorgebracht haben, wie die Versorgungsqualität ist".

Kühn-Mengel wurde auf Vorschlag von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vom Kabinett zur Patientenbeauftragten bis zum Ende der Legislaturperiode ernannt. Sie war bislang gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

 

Quelle: www.fr-aktuell.de