Die neue Patientenbeauftragte Helga Kühn-Mengel über ihre
Rolle, Reformfolgen und Selbsthilfeorganisationen
Frankfurter Rundschau: Was befähigt
Sie zum Amt der Patientenbeauftragten?
Helga Kühn-Mengel: Erstmal ist es ein neues Amt und die
Ministerin hat sicher die Wahl getroffen, weil ich das
Gesundheitssystem recht gut kenne. Auch war ich in der Fraktion
zuständig für die Bereiche Selbsthilfe, Qualität im
Gesundheitswesen, Patientenrechte und Prävention.
Welche Rolle werden Sie zwischen den Patienten und der
Regierung spielen?
Ich bin ja Parlamentarierin, habe aber so eine Rolle zwischen
Parlament und Ministerium, wie das bei den Beauftragten so üblich
ist. Sie haben die Aufgaben, die Interessen einer bestimmten
Gruppe zu bündeln und in die Öffentlichkeit zu tragen.
Auch die Interessen der Patienten gegenüber der Regierung zu
vertreten?
Selbstverständlich. Wir haben mit der Gesundheitsreform jetzt
zum ersten Mal auch Patientenrechte an verschiedenen Stellen
verankert. Dazu gehören zum Beispiel qualifizierte
Informations- und Beteiligungsrechte von Patienten und
Patientinnen, etwa beim Bundesausschuss. Es ist meine Aufgabe,
diesen Prozess in der Umsetzung zu begleiten. Das zweite ist,
dass ich den Dialog mit den Selbsthilfeorganisationen zu führen
habe, aber ich bin auch Ansprechpartnerin für Bürger und Bürgerinnen,
die an mich herantreten. Als Beauftragte bin ich eben auch dafür
zuständig, das was Patienten an Erfahrungen machen,
aufzugreifen.
Und wenn sich diese Erfahrungen gegen die Regierungspolitik
richten?
Wir wissen, dass wir mit dieser Reform auch von Patienten ein
Opfer zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenkasse erwarten
und einfordern.
Was ist, wenn die Beitragssätze der Krankenkassen nicht wie
erwartet sinken?
Diese Reform wird erfolgreich sein, wenn sie es nicht ist, wird
über ganz andere strukturelle Veränderungen diskutiert werden
müssen. Wir haben auf unserem Parteitag ja die Bürgerversicherung
als Option beschlossen.
Droht dann eine neue Sparreform auf Kosten der
Versorgungsqualität?
Qualität heißt ja nicht immer nur mehr Geld. Das ist ja ein
ganz entscheidender Irrtum. Wir haben nach wie vor das
zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt und ich sage auch gar
nicht, dass dieses System zu teuer ist, ich sage nur, dass die
Qualität in manchen Feldern überprüft werden muss. Und bei
den großen chronischen Krankheiten zum Beispiel ist die
Versorgungsqualität im internationalen Vergleich nicht optimal
und da müssen wir auch dran arbeiten.
Die Gesundheitsreform stellt einen Kompromiss dar. Bei
welchen Punkten haben Sie selbst Bauchschmerzen?
Es ist ja nachzulesen in unserem eigenen Gesetzentwurf, was wir
noch lieber durchgesetzt hätten. Ich sage mal Direktverträge,
auch eine Modifizierung des Monopols der kassenärztlichen
Vereinigungen, mehr Wettbewerb. Wir hätten sehr gerne auch hier
Verkrustungen aufgebrochen und den Krankenkassen noch mehr Möglichkeiten
gegeben, in Einzelverträgen Qualität zu befördern und zu
belohnen, aber wir haben zum Beispiel Gesundheitszentren
durchsetzen können, die integrierte Versorgung endlich
verankert.
Bei der Umsetzung des Reformgesetzes zeichnen sich Konflikte
ab, etwa über die Frage, wer zu den chronisch Kranken zählt.
Wir haben die Besonderheit, dass wir eine starke
Selbstverwaltung haben mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss, der
solche Fragen regelt. Dass wir an dieser Stelle jetzt zum
Beispiel auch die Patientenvertretungen installiert haben, ist
ein großer Fortschritt. Wir haben mit dem Gesetz den
Bundesausschuss aufgefordert, eine Liste der chronischen
Erkrankungen zu erstellen, was sie kurz vor Weihnachten
abgeliefert haben. Das muss noch mal überprüft werden. Das war
zu eng gefasst. Es muss hier eine vernünftige Liste her, die
die Interessen der chronisch Kranken widerspiegelt.
Ein anderer Streitpunkt ist die Kassenerstattung von
alternativen Therapieformen.
Auch hier haben wir dem Bundesausschuss gesagt, dass eine Liste
erstellt werden muss. Wir haben ja selber im Gesetz auch schon
die Ausnahmen beschrieben: bei Kindern und bei schweren
Erkrankungen. Und auch hier muss sich der Bundesausschuss mit
den Erwartungen beschäftigen, dass diese Liste alternative
Behandlungsmöglichkeiten nicht vollständig ausschließt.
Dagegen stehen die Argumente der Schulmedizin.
Es ist beides wichtig. Es ist auch wichtig, dass es eine
evidenzbasierte Medizin gibt, eine, wo ich auch sicher sein
kann, dass ich unabhängig von Status und Bildung und Geld eine
gute Behandlung erfahre, die sich auf dem neuesten
wissenschaftlichen Standard befindet. Was Sie ansprechen, ist
aber der Bereich der alternativen Medizin. Auch der ist wichtig,
es gibt hier auch gute Ansätze. Oft ist der Nachweis schwierig
und das ist ein Punkt, um den wir uns auch kümmern müssen,
dass wir hier Möglichkeiten finden, dass auch solche
Behandlungsformen sich profilieren können.
Was geschieht mit der Pflege?
Wir haben die Eckpunkte für ein Pflegegesetz vor Weihnachten
besprochen und das wird jetzt das nächste Reformvorhaben sein.
Hier, glaube ich, ist vielen Aspekten auch Rechnung getragen
worden. Es wird eine Dynamisierung der Leistungen geben, es wird
die Gruppe der demenziell Erkrankten auch mehr berücksichtigt
und der ambulante Bereich wird gestärkt, das ist ganz wichtig.
Wie wollen Sie die Selbsthilfeorganisationen unterstützen?
Wir haben das ja schon mit der 2000er Reform gemacht. Erst mal
haben wir die Prävention, die ja von der Vorgängerregierung
sehr reduziert worden war, wieder gestärkt. und wir haben
damals auch die Selbsthilfe unterstützt. Für die Prävention
mussten fünf Mark pro Versicherten gezahlt werden, für die
Selbsthilfe eine Mark. Damit wollten wir auch zum Ausdruck
bringen, dass die Selbsthilfeorganisationen ein wichtiges Glied
in der ganzen Behandlungskette darstellen und die Lücke schließen,
die oft von den professionellen Anbietern im System nicht gefüllt
werden kann. Aber das ist zum Beispiel so ein Punkt, Stärkung
der Selbsthilfegruppen, bedeutet darauf zu achten, dass die
finanzielle Unterstützung auch ankommt.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom
2. Januar 2004
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Patientenbeauftragte rechnet mit großem Interesse
Berlin (dpa) - Die neue Patientenbeauftragte der
Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel (SPD), stellt sich auf ein
großes Interesse an ihrer Arbeit ein. "Ich rechne damit,
dass das wirklich einen erheblichen Umfang hat", sagte Kühn-Mengel
am Freitag im ARD- "Morgenmagazin". Sie sei
Ansprechpartnerin "für Verbände,
Selbsthilfeorganisationen aber auch für einzelne Bürger und
Bürgerinnen".
Es sei ihre Aufgabe, "auch die Patientenrechte, die jetzt
neu im Gesetz verankert sind, in der Umsetzung zu begleiten
und einzufordern", sagte Kühn-Mengel weiter. Die
Patientenbeauftragte will einmal im Jahr einen Bericht
herausgeben, zu dem, "was Patienten erfahren, was sie an
konkreten Anliegen hervorgebracht haben, wie die
Versorgungsqualität ist".
Kühn-Mengel wurde auf Vorschlag von
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vom Kabinett
zur Patientenbeauftragten bis zum Ende der Legislaturperiode
ernannt. Sie war bislang gesundheitspolitische Sprecherin der
SPD-Fraktion.
Quelle: www.fr-aktuell.de