Lebensversicherer auf dem Drahtseil

Die Garantiezinsen sinken, die Überschussbeteiligungen schrumpfen

Lebensversicherungsverträge laufen über Jahrzehnte, aber die Assekuranz tut zu wenig für ihre eigene Sicherheit. Man kann auch sagen: Deutschlands Versicherungswirtschaft hat jahrzehntelang fest geschlafen. Von einem strapazierfähigen Sicherheitsnetz für marode Konzerne wollte die Branche partout nichts wissen, Forderungen nach einem Einlagensicherungssystem, vergleichbar dem der Banken, wurden forsch abgewiesen. Seit 1929, als die Allianz die gewaltige Frankfurter Versicherungs-Aktiengesellschaft per Übernahme sanierte, glaubte die Assekuranz an die brancheninterne Rettungstat, Schieflagen wurden möglichst klammheimlich begradigt.

Aus dem Tiefschlaf erwachte die Branche erst, als selbst die Stars in die Miesen rutschten. Sowohl hausgemachte als auch unverschuldete Probleme sorgten 2002 bei Ergo erstmals für rote Zahlen und führten bei der Allianz zum höchsten Verlust in der 113-jährigen Firmengeschichte. Vor allem die dreijährige Börsentalfahrt hat das Kapital angefressen, das Nettovermögen der Münchener Rück schrumpfte um 20 Milliarden Euro und das der Allianz sogar um 60. Wenig erfreulich wirkten auf die Anlagebilanzen auch die niedrigen Zinssätze am Anleihemarkt und hohe Schadensummen im Versicherungsgeschäft verursacht durch Terrorattacken ebenso wie durch Hochwasser.

Konkurrenz drückt die Gewinne

Die Wurzeln der aktuellen Probleme reichen freilich viele Jahre weit zurück. Seit dem Startschuss für den europäischen

ummelt sich auf dem zuvor abgeschotteten deutschen Markt mit kartellartigen Extra-Profiten die internationale Konkurrenz. 

Die Jagd auf Kunden löst einen Preiskampf aus, viele Assekuranzen schreiben im operativen Geschäft über Jahre hinweg rote Zahlen. Geld verdient wird zwischenzeitlich nur noch mit Kapitalanlagen und an der Börse. Diese Quersubveritionierung scheitert im März 2000, als dem Börsenrausch ein jammervoller Kater folgt.

Die Versicherten müssen nun für die Schwäche der Konjunktur und für manche Possen der Vorstände draufzahlen: Der Garantiezins wird von Januar an von 3,25 auf 2,75 Prozent fallen, die tatsächlichen Renditen der Lebensversicherungen rutschen, Prämien für Sachversicherungen steigen energisch und die Angst vor der Pleite der eigenen Assekuranz wächst. In so genannten Stresstests der Finanzaufsicht, bei denen die finanzielle Solidität von Versicherern im Falle noch deutlich tiefer sinkender Aktienkurse überprüft wird, sind mehrere Unternehmen durchgefallen, darunter der Hauptsponsor des Fußballclubs Schalke 04, die Victoria-Versicherung. Gerling, Axa, Herold, Hamburg-Mannheimer, Gothaer und andere leiden derweil unter hohen stillen Lasten in ihren Büchern.

Fall Mannheimer sorgt für Unruhe

"Akute Fälle" stünden jedoch nicht an, versuchte der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft die Kundschaft zu beruhigen. Die wurde allerdings ein paar Wochen später vom Kollaps der Mannheimer Leben aufgeschreckt. Die Ratingagentur Fitch und das Fachblatt Map-Report befürchten weitere Opfer, bei mehreren Unternehmen stellt sich inzwischen die Frage nach der Überlebensfähigkeit"

Auf der anderen Seite sieht die Zukunft für die Starken der Branche rosig aus. 436 Versicherungsgesellschaften kassierten voriges Jahr summa summarum mehr als 140 Milliarden Euro Beiträge - ein Rekord. Und die von der Politik geschürte Rentenangst treibt die Bundesbürger weiterhin scharenweise in die Arme der Verkäufer kapitalbildender Lebensversicherungen. Im ersten Halbjahr wuchs das Neugeschäft einiger Anbieter zweistellig, bei der Hamburg-Mannheimer sogar um sagenhafte 33,4 Prozent.

Außerdem soll das in den guten Börsenjahren vernachlässigte Sachversicherungsgeschäft endlich wieder Gewinne abwerfen, Personalabbau und Rationalisierungen werden helfen, Kosten zu senken. Obendrein verfügt etwa die Allianz trotz Börsenflaute noch über konzerneigene Vermögenswerte von rund 400 Milliarden Euro. Auf diesem Boden kann die Assekuranz bauen.

Millionen Menschen schlafen ruhig, weil sie für das Alter fest mit ihrem Versicherungsvertrag rechnen. Dafür ist aber die Vorsorge der Branche für ihre Schwachen zu unsicher, und auch die freiwillige Auffanggesellschaft Protektor ist nicht für alle Fälle gewappnet. Was Wunder, dass die Bundestagsfraktionen von Rot-Grün für ein "gesetzlich verankertes" Sicherheitsnetz plädieren.

Einige Lebensversicherungen werden im nächsten Jahr nur den - dann auf 2,75 Prozent heruntergesetzten - Garantiezins an ihre Kunden zahlen können, befürchtet der Versicherungsverband. Allerdings kann dieser Mindestzins nicht einfach rechnerisch auf die eingezahlten Prämien aufgeschlagen werden, denn er bezieht sich lediglich auf den Sparanteil, sprich: die eingezahlten Prämien nach Abzug der Kosten des Unternehmens. Die ersten Jahre zahlt der Kunde nämlich für die üppigen Provisionen der Vertreter und die Kosten der Verwaltung.

Obendrauf zur garantierten Mindestverzinsung zahlt der Versicherer - wenn es gut geht - eine Überschussbeteiligung. Unterm Strich lag die durchschnittliche Rendite einer kapitalbildenden Lebensversicherung daher bei zuletzt 4,6 Prozent - 2004 werden es vier bis viereinhalb Prozent sein. Über die tatsächliche Höhe im Einzelfall entscheidet der Kostenblock der Versicherungsgesellschaft und deren Anlagegeschick.

Verbraucherschützer warnen daher zum einen vor übereilten Vertragsabschlüssen. Die Kunden sollten sich zuvor sorgfältig überlegen, bei wem sie unterschreiben. Zum anderen raten die Verbraucherschützer aber auch davon ab, bereits bestehende Verträgen übereilt zu kündigen. Ein vorzeitiger Ausstieg kann nämlich hohe Verluste für den Kunden bedeuten.

ASSEKURANZ IN ZAHLEN

Jeder Bundesbürger zahlt pro Jahr mehr als 1700 Euro an Versicherungsbeiträgen. Dafür erhält er im Schnitt sechs Verträge. Damit lässt sich leben, jedenfalls gilt dies für die meisten der 436 Gesellschaften. Sie kassierten in

2002 Prämien von mehr als 140 Milliarden Euro ein. Dafür sorgten 300 000 Angestellte und 400000 selbstständige Vertreter, die Mehrzahl davon im Nebenberuf. Allerdings: Einige Assekuranzen machen im so genannten Stresstest der Finanzaufsicht keine gute Figur. hape

aus: Frankfurter Rundschau, 14.11.2004