Brief einer Verzweifelten

Vor kurzem erreichte mich der Brief einer verzweifelten Arbeiterin. Sie hatte auf der Internetplattform Youtube.de etliche Fernsehbeiträge vergangener Tage (und nach wie vor hoch aktuell) über das Leid Berufserkrankter, die mafiösen Strukturen des hiesigen Gutachter(un)wesens und die nahezu generalisierte Weigerung der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen gesehen, durch ihre Arbeit geschädigten Beschäftigten, Selbstständigen, Gewerbetreibenden und HandwerkerInnen den Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) zu gewähren.

Sie setzte sich kurzerhand hin und schilderte mir, was ihr widerfahren ist. Damit gewährte sie einen tiefen Einblick in die Gegenwart einer nicht anders als elend zu nennenden Arbeitswirklichkeit. Wenn diese auch auf der Oberfläche anders erscheint, unterscheidet sie sich im Kern kaum mehr von jenen Verhältnissen, in denen die FabrikarbeiterInnen zu Zeiten des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und Nazi-Diktatur zu arbeiten gezwungen waren und was sie dabei erlitten. 

Es ist ein erschütternder Bericht, doch durchaus kein Einzelfall. So und so ähnlich geht es heute nahezu überall zu. Die Angst herrscht. Unternehmen fordern Unterwerfung bis zur Selbstaufgabe, dabei unterstützt von der Arbeitslosenversicherung und anderen Fürsorgeverwaltungen. Und die bestallten Schreiberlinge in Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen klatschen Beifall und preisen "Anpasssungsleistungen" und "Flexibilität", sprich: Unterwerfung - komme, was da wolle und komme es, wie es wolle - als den entscheidenden Weg zum Erfolg. Egal, was da auf der Strecke bleibt. Hauptsache, "die Wirtschaft" ist gut aufgestellt, wächst und verschafft "den  Anlegern" ordentliche Renditen. 

Von unten betrachtet ist es das System – ja – eines modernen, anscheinend ganz unblutigen und zivilisierten Kannibalismus. Körper und Seelen der Arbeitenden verwandeln sich in Kapitalrendite, die "der Markt" verzehrt. 

Was von den Menschen in diesem Verwandlungsprozess in einer solchen industriellen Strafkolonie übrig bleibt, auch das hat Frau Müller *) in ihrem Bericht geschildert.


Angela Vogel


Lesen Sie ihren Brief hier: 


*) Name von der Redaktion geändert.