"Am 16.November 2005 stimmt das EU-Parlament in erster Lesung über REACH - die neue europäische Chemikalienrichtlinie ab. REACH ist für alle Chemikaliengeschädigten, vor allem aber für alle ArbeitnehmerInnen und andere Beschäftigte sehr wichtig, die täglich mit chemischen Arbeitsstoffen umgehen und Produkte herstellen müssen oder gezwungen sind, in chemisch belasteten Arbeitsräumen zu arbeiten - ohne Chance auf Minderung/Beseitigung ihres Risikos, akut oder chronisch chemisch verletzt und dadurch möglicherweise bis zur völligen Erwerbsunfähigkeit krank zu werden. 

Der Kampf um REACH befindet sich jetzt in der ´heißen´ Phase und die Beteiligung betroffener durch Chemikalien Verletzte, gleich ob durch Umweltbelastung oder infolge verwendeter Arbeitsmaterialien bzw. Arbeitsinnenraumbelastungen, ist dringend notwendig.

 

Schreiben Sie dem oder der EU-Abgeordneten aus Ihrem Wahlkreis. Schildern Sie ihm Ihre Leidensgeschichte und was es bedeutet, nicht zu wissen, welche Chemikalien auf Sie eingewirkt haben. Erzählen Sie ihm oder ihr, was es für Therapie und Stabilisierung Ihrer Gesundheitsschäden bedeutet, wenn wenig bis nichts über die Giftigkeit all dieser Chemikalien bekannt ist. Stellen Sie da, wie ÄrztInnen, die Berufsgenossenschaften und all die anderen Sozialleistungsträger Sie diskriminiert und abgewiesen haben - mit dem stereotypen Satz "ist auf Vergiftung fixiert". Verdeutlichen Sie, dass Sie die Beweislast für die Toxizität all dieser Stoffe nicht tragen können, wenn der Gesetzgeber derart versagt und sich einseitig auf die Seite der Verursacher, d.h. Hersteller dieser giftigen Materialien schlägt. Sagen Sie, dass Sie deshalb überhaupt keine Chance haben, den Zusammenhang zwischen Belastung mit diesen Stoffen und Ihren Gesundheitsschäden zu beweisen und dass schon deshalb die geltende Beweislastverteilung im rechtlichen Sinne "unsittlich" ist und den Erfordernissen von Rechtsstaatlichkeit nicht genügt.

Aber schrieben Sie nicht zu lange Briefe. Zwei Seiten, das reicht - mehr lesen die viel beschäftigten EU-ParlamentarierInnen aus Zeitmangel selten.   

Die Liste der EU-ParlamentarierInnen mit ihren (Wahlkreis-)Anschriften und Mail-Adressen finden Sie hier:

Weitere Informationen zu REACH und evtl. für Sie hilfreiche Formulierungen finden Sie unter:

www.chemicalreaction.org

Dr. Angela Vogel, abeKra-Geschäftsführerin

 

Lesen Sie hierzu auch den Brief unserer AbeKra-Vertrauensfrau Inge Kroth an ihre EU-Abgeordnete

 

 

 

Die Sache mit dem Lohndumping

Wirtschaft und Wirtschaftspolitik arbeiten oft mit Annahmen, die nur auf den ersten Blick logisch sind. Der FR-Seziertisch nimmt sie auseinander. Diesmal: Georg Füllberth über Arbeitszeit.

 

Umfragen belegen: Es gibt in der Bevölkerung eine Mehrheit für eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit. Das ist kein Wunder, denn es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Politiker, Unternehmensvertreter oder die Presse das fordert. Daneben gibt es noch den Vorschlag der Rürup-Kommission, die Lebensarbeitszeit bis 67 zu verlängern. Das ist gegenwärtig noch nicht mehrheitsfähig, gewinnt aber an Zustimmung.

Fangen wir mit dem zweiten Thema an. Wenn Versicherte nicht mit 65 aus der Erwerbsarbeit ausscheiden, sondern erst mit 67, beziehen sie nicht nur später Rente, sondern sie zahlen in dieser Zeit auch noch ein. Dadurch sollen die Kassen entlastet und die Beiträge stabil gehalten werden. Jedoch bleiben Stellen von Älteren besetzt, auf die Jüngere nicht nachrücken. Letztere zahlen nicht ein. Mehreinnahmen von den Betagten stehen Mindereinnahmen vom Nachwuchs gegenüber, es ist ein Nullsummenspiel.

Die Lebensarbeitszeit wird dadurch nicht länger: Sie fängt nur später an. Auch bleibt sie nicht stabil, sondern wird sogar weiter sinken. Viele Beschäftigte werden nach wie vor spätestens mit 65 in Rente gehen — teils weil sie nicht länger arbeiten können, teils weil die Unternehmen sie vorher irgendwie verabschieden. Dann gibt es Abzüge, und das ist der Zweck der Übung: Durch die Erhöhung des offiziellen Renteneintrittsalters kann bei all denen gespart werden, die früher gehen müssen.

Damit haben wir auch eine Erklärung für die Vorschläge, die Wochenarbeitszeit zu verlängern. Es geht nicht darum, in den weiteren Stunden mehr Güter herzustellen, sondern die Stückkosten zu senken. Die zusätzliche Arbeitszeit soll unbezahlt bleiben. Es handelt sich letztlich um Lohnsenkung. Reden wir also darüber: Lohnsenkung — sei es direkt, sei es auf dem Weg über unbezahlte Mehrarbeit — soll den Unternehmen die Möglichkeit geben, sich durch ein günstiges Angebot auf dem Markt zu behaupten.

Das hat einen Nachteil: Steigen die Löhne nicht, stagniert die Nachfrage. Vielleicht können vorhandene Arbeitsplätze gehalten werden. Neue entstehen aber nicht — wenn doch, um den Preis von Niedriglöhnen, die ihrerseits die Nachfrage nicht erhöhen. Ein Gegenargument lautet: Gelingt es, mit Lohnsenkungen die Waren zu verbilligen, können sie auch bei sinkendem Nominallohn gekauft werden. Die Nachfrage geht dann nicht zurück. Sie steigt aber auch nicht, sondern stagniert. Das heißt: Schon bestehende Arbeitslosigkeit kann entweder gar nicht oder doch nicht in ausreichendem Maße abgebaut werden.

Es könnte noch schlimmer kommen. Dann, wenn das Lohn- und Kostendumping in eine Deflation mündet. Würden sich dann alle über sinkende Preise freuen? Nein. Gewerbetreibende, die einen Kredit aufnahmen, könnten ihn nicht mehr zurückzahlen, weil sie nicht mehr die Preise erzielen, die sie vorher kalkuliert haben. Was dann aus den Arbeitsplätzen wird, die sie bisher anboten, brauchen wir uns nicht lange zu fragen.

Dennoch ist, wie wir gesehen haben, Lohnsenkung per Mehrarbeit derzeit fast schon populär. Die Ursache liegt im Standortdenken. Viele sehen im Dumping die einzige Chance, dass ausgerechnet ihr Betrieb, ihre Region oder gar das ganze Land sich gegen Konkurrenz behauptet. Aber Standorte sind nicht homogen. Auch in starken Regionen gibt es schwache Gegenden, in keinem Betrieb haben wir nur Profit Center, in den Belegschaften sind Dreißigjährige mit Kinderwunsch und Ältere.

Das wäre zu verkraften, würde zugleich ein ausgleichender Transfer organisiert. Das passt aber nicht zur Wettbewerbslogik, weshalb gegenwärtig öffentlich finanzierte Infrastruktur und Sozialleistungen abgebaut werden. Wir sollten uns die Sache mit dem Lohndumping noch einmal überlegen.

 

 

Georg Füllberth ist Professor
für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität in Marburg.

 

Quelle: Frankfurter Rundschau, 14. November 2003


 

Richter müssen Verantwortung übernehmen

 

Statt Beamte auf Lebenszeit brauchen deutsche Gerichte mehr Quereinsteiger / Von Renate Jaeger

 

Bundesverfassungsrichterin Renate Jaeger hat sich mit ihrem Statement beim Deutschen Richtertag in Dresden auf heikles Terrain vorgewagt. Sie plädiert für ein völlig neues System, um die Qualität der Justiz zu verbessern. "Die deutschen Strukturen sind ein Relikt aus vordemokratischer Zeit", argumentiert die Juristin. Wir dokumentieren Jaegers Überlegungen, die sie bei einer Podiumsdiskussion am Mittwoch vorstellte.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 18. September 2003

 

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