´Verbrauchende´ Embryonenforschung, PID, Gewinnung von Stammzellen aus Föten, Klonen von Menschen im rechtlichen Niemandsland auf hoher See: Im Frühsommer 2001 packte hier zu Lande so manchen Zeitungsleser das Grauen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft ging in die Großoffensive und gebärdete sich wie die Planungsabteilung eines Globalplayers der Gentechnologie. In brutaler Offenheit ließ sie alle bisher geübten Rücksichten fahren und forderte freie Fahrt für alle Möglichkeiten, die die Gentechnologie ihren Betreibern bietet, forderte rückhaltlose Anpassung des geltenden Rechts an die Interessen der Forscher und Betreiber. Die Politik reagierte rasch. Kanzler Schröder verwies die Bio-Ethik-Enquete-Kommission des Parlaments in die hintere Reihe und setzte einen handverlesenen Nationalen Ethik-Rat ein.Als sich die Boings in die WTC-Zwillingstürme in New York bohrten, saß vielen noch das lähmende Entsetzen im Hirn - über die Entwicklung der Gentechnologie und die niemals zuvor in der Geschichte der BRD derart sichtbar gewordenen Einflussnahmen auf Politik und Gesellschaft durch Betreiberseite und Kommerzwissenschaft.  Alles vergessen? Von den Betreibern nicht. Das Bundesgesundheitsministerium hat mittlerweile eine Gesetzesvorlage zur Einrichtung einer bundesweiten Zentraldatei erarbeitet. Darin sollen die PatientInnen-Daten der jährlich ca. 800 Millionen Behandlungen von PatientInnen in Arztpraxen und in Krankenhäusern zusammengeführt werden. Die PatientInnen selbst sollen die erweiterte Chipkarte erhalten, auf der alle ihre Gesundheitsdaten, ihre Arztbesuche, Therapien und Medikationen verzeichnet sind. Dazu passt der “Otto-Katalog” (Hildebrandt) des Innenministers Schily, also die vom Bundesinnenministerium geplante Aufweichung des Sozialgeheimnisses in den so genannten Sicherheitspaketen I plus II. Die Lockerung des Sozialgeheimnisses aber ist Bedingung für die nächste GATS-Runde.GATS steht für “General Agreement on Trade in Services” - allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen.Das GATS ist ein internationales Abkommen der Mitgliedsstaaten der WTO, der zu Recht in Misskredit geratenen Welthandelsorganisation . Das Ziel der derzeit laufenden GATS-Verhandlungen ist es, weltweit und ohne Ausnahme die öffentlichen Dienste privaten Konzernen zu öffnen - darunter die Gesundheitsversorgung, das Bildungswesen, die Trink- und Energieversorgung, Umweltschutzmaßnahmen, Verkehrswesen, Museen, Rundfunk, Bibliotheken und die Betreuung unserer Kleinsten in Kindergärten. In Zukunft sollen sich alle öffentlichen Dienstleister dem so genannten Notwendigkeitstest (Necessity-Test - heute schon in der USA/KANADA/MEXIKO-Freihandelszone NAFTA üblich – mit verheerenden Konsequenzen für die Bevölkerung aller NAFTA-Staaten) unterziehen und nachweisen müssen, dass sie einen Dienst ebenso ´effizient´ anbieten können wie ein privates Unternehmen. Können sie das nicht, müssen sie diese `Dienste´ privatisieren. Die rot-grüne Bundesregierung hat bereits das Bildungswesen zur Privatisierung frei gegeben, über 100 andere Länder auch schon ihr Gesundheitssystem (vgl. dazu www.attac-netzwerk.de).Die für alle WTO-Mitglieder verbindliche Privatisierungsentscheidung der oben aufgezählten öffentlichen Dienstleistungen wurde von der WTO auf ihrer Konferenz in Katar Anfang November 2001 verhandelt und der Entscheidung ein großes Stück näher gebracht. Die Aushöhlung des Sozialgeheimnisses ermöglicht den ungehemmten Datentransfer in einem privatisierten Gesundheitswesen, sprich Handel mit Gesundheitsdaten und deren ungehemmte Nutzung mit dem Ziel, Gewinne zu maximieren und ihr Risiko zu senken. In diesem Zusammenhang gesehen, wird plötzlich klar, wozu die geplante Zentraldatei der PatientInnenerkrankungen- und Behandlungen vielfältig nutzbar wird - für die dann noch bestehenden Rest-Gesundheitsbehörden, die Versorgungsanbieter, hier insbesondere die Gen-Industrie, und natürlich für all jene, die weiter fleißig daran arbeiten, das dazu passende Staats-, Institutionen- und Gesetzgebungskorsett zu erfinden und durchzusetzen. Schon jetzt ist in der WTO und auf EU-Ebene im Gespräch, eine transnationale Superbehörde einzurichten, die befugt sein soll, alle noch demokratisch getroffenen Entscheidungen der nationalen Parlamente und Regierungen zu kippen, die die Dienstleistungsfreiheit der Anbieter in irgendeiner Weise beschränken – oder beschränken könnten.Demokratie ade – scheiden tat noch nie so weh. Wer immer in der Vergangenheit auf die Demokratie und ihre Schwächen geschimpft hat, der wird schon noch merken, wie wichtig sie für uns – die breite Bevölkerung – ist und was es heißt, wenn wir und unsere parlamentarischen VertreterInnen nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu entscheiden, sondern nur noch zu gehorchen haben werden.Das betrifft auch und besonders die so genannte Gen-Medizin.       Gestern, Donnerstag, den 29. November 2001, hat sich der so genannte Ethik-Rat (siehe dazu weiter unten) für die beschränkte Stammzellnutzung entschieden. Wem wird der stammzelltherapierte Mensch der Zukunft gehören? Dazu sagt dieser Ethik-Rat nichts, weiß aber: Laut Patenrecht demjenigen, der das Patentrecht auf die verwendeten Stammzellen hält. Das aber heißt: Rechtlich gesehen können stammzelltherapierte Menschen nicht mehr als Personen gelten. Das was die Person ausmacht, ist ihnen abhanden gekommen. Sie sind nur noch Lizenzträger - ohne personales Eigenrecht. Lebewesen ohne personale Eigenrechte aber können keine bürgerlichen Rechte beanspruchen, auch keine Grundrechte im Sinne unserer Verfassung.  Was aber sind dann stammzelltherapierte Menschen und welchen rechtliche Status werden sie haben? Sind sie die neuen Leibeigenen und Eigentum der Lizenzinhaber?

Im Beck Verlag hat die Creme de la Creme des deutschen Medizin-, Medizinverwaltungs- und Medizinrechtwesens im Frühsommer 2001 mit dem 845 Seiten starken Band “Genmedizin und Recht” eine erste umfassendere Bestandsaufnahme zu der derzeit bestehenden Rechtslage und den rechtlichen Rahmenbedingungen vorgelegt, in der sich die Genmedizin bewegt, bzw. bewegen sollte. Dass den Verfassern die oben angesprochene Problematik durchaus gegenwärtig war, verrät das 2. Geleitwort aus der Feder des renommierten Prof. E. Benda, einst Präsident des Bundesverfassungsgerichts. “In Deutschland”, beklagt Benda, werde “im Blick auf den Fortschritt der Forschung und eine wachsende Zuversicht, dass von ihren Ergebnissen Anwendungen in der Medizin zu erhoffen sind, die die Gesundungschancen der von Erbkrankheiten befallenen Menschen verbessern, verstärkt nach einer Lockerung der als zu streng empfundenen rechtlichen Regelungen gerufen”, doch stellten sich dabei “verfassungsrechtliche Fragen von großem Gewicht, so nach Forschungsfreiheit und ihren Grenzen, die sich besonders aus der staatlichen Schutzpflicht für die menschliche Würde” ergäben. Zwar, so Benda weiter, bestehe “Einigkeit darüber, dass die Würde des Menschen - bei uns oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung - auch gegen humangenetische Manipulationen geschützt werden” müsse, doch bestehe “keine volle Einigkeit” darüber, ”wo Gefährdungen der Menschenwürde bestehen und welche Maßnahmen zu ihrem Schutz erforderlich” sind (S. XV).Rechtliche Regelungen zur Genmedizin umfassen die unterschiedlichsten Teilbereiche und Aspekte. Allein die Erforschung des menschlichen Genoms (Erbanlagen) ist mit zahlreichen rechtlichen Fragen verbunden. Berührt ist a) die Art der Forschung, die Erfindung, Validierung und Standardisierung von Analysemethoden, die damit verbundenen Patent-, Verwertungs- und Eigentumsrechte dann, wenn sie (zB in Form von Gen-Sequenzierungsautomaten) und die dazu notwendigen Mittel (zB Genmarker, Genfähren etc.) zur gewerblichen Nutzung produziert und vermarktet werden. Wem gehören des Weiteren die Daten der ´Leitgenome´ zB in der heftig umstrittenen irischen Gendatenbank oder die in der ärztlichen Datenbank in Frankreich namens Cegedim? Und wer darf daraus kommerziellen Nutzen ziehen? Gehören diese Daten den Datenquellen, nämlich den Patienten bzw. Menschen, aus deren Körper die Daten gewonnen wurden? Oder gehören sie denjenigen, die sich diese Daten durch ihre ärztliche, labortechnische oder radiologische Tätigkeit angeeignet haben? Oder gehören sie dem Staat, resp. den Solidarversicherungen? In Frankreich z.B. liefern die Ärzte ´ihre´ Patientendaten an Cegedim. Cegedim verkauft sie u.a. an Pharmalabore. (Rdnr. 1326) Wie steht es damit bezüglich der darauf aufbauenden gendia gnostischen (Gentests zur Erkennung eines genetisch angelegten Gesundheitsrisikos) und gentherapeutischen Verfahren und Anwendungen (somatischen Gentherapie)? Wie kann gesichert werden, dass gentechnisch hergestellte oder gentechnologische Arzneimittel so wirksam sind wie von den Herstellern, Vertreibern und Anwendern versprochen? Wer kontrolliert die dazu erforderlichen klinischen Erprobungsstudien und welche Maßstäbe im Sinne welcher Rechtsvorgaben müssen dabei erfüllt sein? Und, ebenso wichtig, wer kontrolliert das? Und wer haftet, wenn sich erweist, Gen-Daten wurden illegal erhoben, Gen-Studien gefälscht oder Gen-Verfahren und Gen-Arzneien haben PatientInnen geschädigt? Wie steht es überhaupt um die Rechte der PatientInnen, wie um den Schutz des Sozialgeheimnisses und den Datenschutz? Welche Konsequenzen kann das haben, wenn sich Menschen gegen das Risiko von Erkrankungen, von Berufsunfähigkeit bzw. Früherwerbsunfähigkeit versichern wollen, aber keinen Versicherer finden, weil sie auf Grund irgendwelcher Gen-Tests als genetische Zeitbombe und versicherungswirtschaftlich als nicht versicherbare Risiken gelten?  Und, wie sind alle jene geschützt, die in biotechnologisch arbeitenden Firmen, Arztpraxen, Laboratorien und Forschungseinrichtungen Genome irgendwelcher Lebewesen gentechnisch manipulieren, die Enzyme, Vakzime und Genfähren (Retroviren) herstellen, gentechnisch gewonnene oder hergestellte Arzneien produzieren und erproben? Was ist mit den Herstellungsorten, an denen nackte wie manipulierte, teils hoch gefährliche DNA zwangsläufig in allen Ritzen sitzt und jeder Zeit die Beschäftigten selbst gesundheitlich schädigen und/oder nach draußen gelangen kann? Hinzu kommt, Genmedizin hat das, was deren Protagonisten mit dem Begriff der “Tiefenwirkung” andeuten. Die Genmedizin steht auf dem Sprung, Menschen und Tiere zu klonen, hybride Lebewesen aller Art zu konstruieren, ´menschenvernutzende´, sprich- tötende Forschung zu betreiben, was heißt: Menschen bzw. werdende Menschen (Föten) sollen zum zum Zwecke der Genmanipulation und Stammzellgewinnung ausgeschlachtet werden, die menschliche Fortpflanzung genetisch gesteuert und Menschenzüchtung betrieben werden. Um Letzteres nicht mehr so offenbar werden zu lassen, sprechen Genetiker und deren Lobbyisten in parlamentarischen Gremien nicht mehr von Eugenik. Das heißt heute Enhancement und meint – so der Mitautor Härtel in seinem Beitrag (s.d.w.u.) - nichts weniger als die “Anwendung genmedizinischer Techniken nicht zum Heilen von Krankheiten, sondern zum gezielten Verbessern nicht krankheitsrelevanter Eigenschaften”, was “die Frage nach dem Begriff von Krankheit/Gesundheit sowie der Verfügung über das eigene und das Leben nachfolgender Generationen” berühre (Rdnr. 988).Was aber ist daran noch medizinisch?

Das und mehr sind die Fragen, deren Beantwortung die LeserInnen von einem fettleibigen Band wie diesem mit einem so viel versprechenden Titel wie “Genmedizin und Recht” mit Fug und Recht erwarten dürfen.Prüfen wir also, ob und welche Fragestellungen der Band beantwortet und für welche LeserInnenkreise sich die Lektüre lohnen mag. Nach der Einführung mit dem Titel “Was ist Genmedizin” handelt Kapitel A (Rdnr. 116 - 521) wesentliche “rechtliche Rahmenbedingungen” ab. Einbezogen und sehr gut nachvollziehbar sind die teils zuvor stark kontrovers diskutierten “Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin” des EU-Rates vom 4.4.1997, das “Europäische Protokoll zum Verbot des Klonens” von 1998 (derzeit von 29 der heute 41 Europastaaten unterzeichnet), die EWG-VO Nr. 2309/93 über die “Zulassung von Hochtechnologiearzneimitteln”, die EG-Richtlinie über “In-vitro-Diagnostika” von 1998, EG-Richtlinie zum “Schutz biotechnologischer Erfindungen” von 1998 (Patentrichtlinie), “Embryonenschutzgesetz” von 1990 plus Änderungsinitiativen bis zur Jahrtausendwende, “Arzneimittelgesetz” von 1976 (die jüngste Novellierung ist nicht einbezogen), “Gentechnikgesetz” und seine RechtsVO seit 1990, Grundlagen und Auswirkungen der “(Muster)-Berufsordnung für Ärzte” in Deutschland und die “UNESCO-Deklaration über das menschliche Genom und Menschenrechte” (Diskriminierungsverbot auf Grund genetischer Merkmale) von 1997.Kapitel A gestattet einen sehr guten Überblick über den derzeitigen Stand rechtlicher Regelungen im nationalen wie übergreifenden EU-Maßstab. Allein schon das macht diesen Sammelband sehr nützlich.

Kapitel B widmet sich den so genannten “ethischen Rahmenbedingungen”, geschaffen durch die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes (DvH), zuletzt 1996 modifiziert, die Beschränkungen der Forschung durch die DvH und Sonderregelungen im nationalen Standesrecht, hier des der deutschen Ärzte. In Kapitel C beschäftigt sich die Pressesprecherin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Dr. E.-M. Streier, mit der “Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis”, insbesondere mit dem inzwischen so gravierenden Problem der “Fälschung wissenschaftlicher Forschungsberichte” am Beispiel der Fälschungen durch den Krebsforscher Prof. F. Herrmann und seiner Mitarbeiterin, Frau Prof. M. Brach, Ulm, und den “Konsequenzen”, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft daraus zog. Man erfährt, dass die “Task force” der DFG unter der Leitung des Würzburger Mediziners Prof. U.-R. Rapp tätig geworden und die DFG eine international besetzte Kommission zur “Selbstkontrolle in der Wissenschaft” unter dem Vorsitz des damaligen DFG-Präsidenten W. Frühwald eingesetzt hat.Sie erarbeitete 16 Ehren-Kodex-Empfehlungen, die bis Ende 2000 von 18 der insgesamt 37 deutschen Universitäten umgesetzt worden sind. Die DFG hat ein Ombudsgremium mit drei Wissenschaftlern eingesetzt, die “als Vertrauenspersonen zur Beratung und Vermittlung in Fällen wissenschaftlicher Unredlichkeit zur Verfügung stehen” (S. 221, Rdnr. 557).

Es mutet freilich seltsam an, dass die Fälschungsproblematik in der Wissenschaft nicht im Zusammenhang mit der “Kooperation zwischen Genmedizin und Industrie” Rdnr. 880-943 abgehandelt wird, sondern aus der realen Struktur des universitären bzw. universitär angebundenen Wissenschaftsbetrieb herausgelöst und zu einem Gegenstand ethischer Betrachtungen gemacht wird, so dass die Frage nach notwendigen Strukturveränderungen des Wissenschaftsbetriebs gar nicht erst aufkommt. Warum das so gemacht wurde, erklärt sich bei der Lektüre des Abschnitts VIII, “Kooperation zwischen Genmedizin und Industrie”. Der Autor J. Göben, Mitarbeiter des Deutschen Hochschulverbands, spricht sich darin unverhohlen für die Privatisierung der Hochschulforschung aus, für eine Zukunft der Herren Professoren (und der Hochschulen selbst) als Patentinhaber und Unternehmer, und dafür, der Medizin- und Pharmaindustrie die Tore der Hochschulen und anderer Forschungseinrichtungen sperrangelweit zu öffnen. Um das glaubhaft fordern zu können, ist es schon notwendig, das Problems der Fälschung in der Wissenschaft zu einem rein ethischen Problem zu erklären und an keiner Stelle zu erörtern, wie Industriesponsoring, Spenden der Global- und National Player, Industrieauftragsforschung und zunehmende Inanspruchnahme von Wissenschaftlern in Diensten der Industrie in der StudentInnenausbildung die Autonomie von Lehre und Forschung zur Farce und ergebnisorientierte Forschung zum Normalfall macht.Die darin liegende Botschaft aber ist: ob gefälscht oder nicht spielt überhaupt keine Rolle, Hauptsache ist vielmehr, die Fragestellungen, die angewandten Methoden und die Durchführung von Forschungsprojekten sind so, dass die Ergebnisse im Sinne des jeweiligen Auftraggebers kommerziell verwertbar sind. Die Kontrolle ist dann Sache des “Klinischen Qualitätsmanagements”, von ”Standards für Monitoring und Auditing Klinischer Studien” - in diesem Band dargelegt von Th. R. Weihrauch, dem leitenden Direktor von Medizin International der Bayer AG in Wuppertal. An Hand einer Qualitätsprüfung der FDA an klinischen Studien aus den USA, in der sich erschreckende Qualitätsmängel zeigten, beschreibt Weihrauch Sinn und Zweck der so genannten “Guten Klinischen Praxis” (Good Clinical Practice - GCP) und die Einrichtung der “Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS)” in Deutschland, die helfen sollen, die Qualität der klinischen Forschung zu verbessern.Doch dann kommt auch Weihrauch zur Sache. Ziel des Qualitätsmanagements sei es, “durch Kooperation mit universitären klinischen und experimentellen Forschungseinrichtungen, mit studienerfahrenen Versorgungszentren, der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie (..) zur beschleunigten Umsetzung anwendungsorientierter Entwicklungen der universitären medizinischen Grundlagenforschung in klinische Studien beizutragen” (Rdnr. 1721). Bezüglich seiner Grundfrage, wie Qualitätsmanagement mit Verdachtsfällen von Datenfälschung umgehen bzw. Betrug verhindern könne, lässt Weihrauch deutlich durchblicken, wie wenig Fälscher klinischer Studien tatsächlich zu befürchten haben. In seinen Schlussfolgerungen (Rdnr. 1751) schreibt er:“Betrug (“Fraud”, “Misconduct”) in der klinischen Arzneimittelforschung ist ein in der Wissenschaft präsentes Phänomen. Sein Vorkommen wird mit einer Größenordnung von etwa 1% aller pro Jahr durchgeführten Studien geschätzt. Die Motive sind vielfältig (Karriere, Geld u.a.). Die Strafverfolgung von Betrug ist schwierig und in der Regel langwierig, so dass in strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren häufig außergerichtliche Vergleiche angestrebt werden. Eine rigorose und erfolgreiche Bestrafung von Vergehen erfolgt bisher nur in Großbritannien. Die Methoden zur Aufdeckung von Betrug sind nur teilweise etabliert und wirksam. Zur Zeit bestraft das System eher den Informanten (“whistle blower”) als den Betrüger.”Der letzte Satz kann auch als Warnung verstanden werden - an die Adresse möglicher Spielverderber. Bei Gänsbacher, Direktor des Instituts für Experimentelle Onkologie und Therapieforschung der TU München, ist im Kapitel E “Genmedizin im Therapiesektor” dagegen zu erfahren, zu was laxe Kontrollen führen. Nach den Vorgaben der “good klinical practise” müssen weltweit über klinische Erprobungen von Gentherapien Protokolle geführt werden, so auch in den USA. Doch anders als in Deutschland werden dort Gentherapie-Protokolle durch zwei unabhängige Institutionen überprüft, die FDA (Food and Drug Administration) und das NIH (National Institutes of Health).Die FDA darf die Protokolle nicht öffentlich diskutieren, das NIH, vertreten durch das RAC (Recombinant DNA Advisory Committee), bewertet die klinischen Gentherapiestudien und erörtert dies öffentlich. Die RAC ist mit Experten und mit Repräsentanten der Gesellschaft besetzt. Zwischen 1990 und 1996 überwachte das RAC die Gentherapieversuche aktiv, d.h. viermal im Jahr mussten die Kliniker über Nebenwirkungen und besondere Vorkommnisse berichten. Doch 1996 entzog das NIH dem RAC diese Kompetenzen. Seither war das RAC nur noch für Studien mit neuen Vektorsystemen zuständig. Es konnte die Mehrzahl der Protokolle nicht mehr überprüfen und das erwies sich als äußerst fatal. Nach dem Tod von Jesse G., einem 18-jährigen aus Arizona, stellte sich bei der Obduktion heraus, dass die benutzte rekombinante Vektor-DNA in der Milz, den Lymphknoten und sogar im Knochenmark nachweisbar war, obwohl das Gen-Material nur über die rechte Leberarterie infusioniert worden war und in der Leber hatte verbleiben sollen. Es kam zum politischen Eklat. Die FDA verbot der Universität in Pennsylvania die Fortsetzung ihrer sieben laufenden Gentherapie-Studien. Im Protokoll zu der Studie, an der der Verstorbene teilgenommen hatte, fand sie 18 schwere Verstöße gegen das Genstudien-Reglement. Damit war klar, die wissenschaftliche Verpflichtung zur Selbstkontrolle reicht nicht aus. Gentherapie-Studien bedürfen ständiger Kontrolle. Das RAC erhielt wieder mehr Kompetenzen. Nun erfuhr es in mehr als 600 Fällen von weiteren schweren Nebenwirkungen bzw. Vorkommnissen, auch von Todesfällen bei der Erprobung gentherapeutischer Eingriffe. Zwar wurden diese der Öffentlichkeit verschwiegen, doch, so Gänsbacher, seien in den USA “die Konsequenzen aus diesen Vorfällen gegenwärtig nicht absehbar”.(Rdnr. 1143 - 1150)Selbstverständlich erwähnen weder Weihrauch noch Göbel, was ihre Problemaufbereitungen mit den Bestrebungen der WTO zu tun haben, Forschung und Lehre weltweit zu privatisieren und damit den Global und National Playern die Oberhoheit über die Steuerung der Erkenntnisgewinnung sowie des Wissens unserer Gesellschaft zu gewähren und sie zu ermächtigen, das Denken und Bewußtsein des wissenschaftlichen Nachwuchses federführend zu formen. Der Beitrag von Göbel, aber auch der Beitrag “Genmedizin als Auftrag für die Wissenschaftspolitik” ,verfasst von Dr. I. Härtel, Sekretariat der Enquete-Kommission “Recht und Ethik der modernen Medizin” des Deutschen Bundestages, zeigen sehr deutlich, welche – ihrer Meinung nach - störenden rechtlichen Regelungen und institutionelle Verfasstheiten auf dem Wege der “Dynamisierung der Technik” insbesondere der Biomedizin, liegen und welcher Handlungsschritte, Instrumentarien und Vernetzungen es bedürfe, um den Weg für die Genmedizin nach und nach hochgeschwindigkeitsfest zu machen.Von demokratischer Teilhabe der Bevölkerung an der Gestaltung dieses Prozesses ist nirgendwo die Rede. Die nicht gewählten Experten aus der Industriewissenschaft, Verbandsvertretern der Global- und National-Player, ausgewählte Vertreter der Hochschulen und anderer Forschungseinrichtungen sollen tun, was sie tun wollen – ohne so was lästiges wie das Volk fragen zu müssen, unverständig von Haus aus.Der Bevölkerung soll lediglich mehr Transparenz geboten werden, u.a. durch das Modellprojekt “Bundesweite Konsensuskonferenz” zum Thema “Gendiagnostik als Methode der partizipativen Technikfolgenabschätzung”. So wurde z.B. unter der “Federführung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden” eine “Konsensuskonferenz mit ausgesuchten Laien” eingesetzt und der geneigten Öffentlichkeit als Erprobung einer “neuen Methode der Diskussion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit” (Rdnr. 1009) angedient. Dieses Gremium arbeitet auch bereits.

Apropos Laien: In dem Kapitel “Genmedizin aus der Sicht der Patienten” beklagt der Dezernent für Wissenschaft und Forschung der deutschen Bundesärztekammer, Stefan F. Winter, dass “der Genmedizin in der Vergangenheit von Seiten der Betroffenen, d.h. der Patienten selbst, in Deutschland nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht worden” sei, wie beispielsweise in Großbritannien.In solcher Rolle der Steigbügelhalter scheint er auch deutsche PatientInnenselbsthilfegruppen gerne sehen zu wollen. Er erwähnt nicht, dass die meisten der deutschen Behindertenverbände die Gentechnologie und Genmedizin sehr gut begründet ablehnen und sich ihre Analysen über Sinn und Unsinn der Genmedizin auch nicht mit fund raising-Projekten (Hilfe bei der Geldbeschaffung im Wege des Sponsoring) oder anderen Verlockungen haben abkaufen lassen. Es spricht für die mangelnde Fairness und Souveränität der Herausgeber Winter, Fenger und Schreiber, dass sie in ihrem Buch keinen Vertreter oder Vertreterin einer deutschen Patientenselbsthilfegruppe zu Wort haben kommen lassen, sondern nur einen Lobbyisten der britischen Genetic Interest Group (GIG), Alistair Kent. GIG ist ein Organisationszusammenschluss kleiner Initiativen, deren Mitglieder an seltenen Erbkrankheiten leiden. Der Beitrag von Alistair Kent ist umso peinlicher als klar zu erkennen ist, dass es sich bei der GIG nicht um eine echte Patientenselbsthilfegruppe im hier zu Lande üblichen Sinn handelt, sondern um eine Pro-Gen-Lobby-Vereinigung, die eine subtil verbrämte Genmedizin-Propaganda-Arbeit unter potentiell Betroffenen und deren Angehörige, Lehrern, Journalisten und in der breiten Öffentlichkeit betreibt. Es wäre auch sehr verwunderlich gewesen, dass sich ein hochrangiger Funktionär der Ärztekammer plötzlich als Freund echter PatientInnenselbsthilfevereinigungen entpuppt hätte. Vielmehr scheint jetzt geplant zu sein, deutsche PatientInnenselbsthilfegruppen gezielt auf die Schiene britischer oder französischer Vorbilder zu heben - zum Zwecke der Schaffung von Nachfrage durch “Endverbraucher” und Rekrutierung von Probanden klinischer Genmedizinstudien (vgl. dazu Rdnr. 1246f). Im Anhang des Bandes findet sich jedenfalls schon mal eine Sammlung von Adressen bundesdeutscher Selbsthilfegruppen und PatientInnenvereinigung - mit Telephon- und Fax-Nummern!

Der für alle Versicherten und unsere Eingangsfragen einschlägige Beitrag “Genmedizin und Datenschutz” ist bemerkenswerter weise von der eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Dr. K. Atia-Off und C. Grand, Chef suppléante du secrétariat du prépose fédérale a la protection des données in Bern verfasst. Beide Autorinnen heben bei den datenschutzrechtlichen Vorgaben im Bereich der Genmedizin auf die datenschutzrechtlichen Grundsätze a) der Rechtmäßigkeit, b) des Verhältnismäßigkeitsprinzips, c) den Grundsatz der Zweckbindung, d) den Grundsatz der Richtigkeit und c) die Auskunftsrechte der BürgerInnen als höchtspersönliches Recht ab.Ist der Datenschutz auf Genproben anwendbar oder kann das Datenschutzrecht überhaupt auf Genproben angewendet werden? Sind Genproben Personendaten und kann eine betroffene Person hinsichtlich einer Genprobe von sich ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht geltend machen? Da die im Genmaterial enthaltenen Personendaten “unweigerlich mit dem Träger und damit auch mit der betroffenen Person verbunden ist”, hat, so argumentieren die Autorinnen, “die Genprobe mit ihren spezifischen Aussagen über die Person als deren Teil unter den Persönlichkeits- und damit unter den Datenschutz zu fallen” (Rdnr. 1317ff) Leider beschränkt sich dieser Beitrag ausschließlich auf den Datenschutz und wirft keinen Blick über den Rand des Suppentellers. Wir erfahren nichts bezüglich der Eigentumsrechte an - und Verwendungsrechten von Genproben und allem, was im Zuge der Proben-Entnahme und - verwendung an neuem gentechnologischem Know how entwickelt wird.Doch ist das wahrscheinlich nicht den Autorinnen anzulasten. Der gesamte Band vermittelt den Eindruck, als habe man eher sorgsam darauf geachtet, alle diese Fragen weiträumig zu umschiffen bzw. zu zentralen PatientInnen- und anderen Betroffenenrechtsfragen nur nichts sagende oder ausweichende Schmalspurantworten zu liefern. 

So viele interessante Details sich in den einzelnen Beiträgen auch finden, so anerkennenswert sicherlich auch die Darstellung der wichtigsten im Bereich der Genmedizin in Europa und bei uns geltenden Verordnungen, Gesetze, Richtlinien, Empfehlungen oder Erklärungen auch sind - Versicherten und PatientInnen kann ich den Band nicht empfehlen. Keine der eingangs formulierten Fragen wird dargelegt, erörtert, geschweige denn beantwortet. Fast alle Beiträge kreisen ausschließlich um die Fragen und Belange derjenigen, die das Genmedizingeschäft hochprofitabel betreiben, daran partizipieren und deshalb die Rahmenbedingungen für die Gen-Medizin verbessern wollen resp. aus diesen Gründen ganz bestimmte entdemokratisierende gesellschafts- und staatspolitische ´Umbau´konzepte propagieren.   Lesenswert ist der Band für alle diejenigen, die sich für die - kluge - Öffentlichkeitsarbeit der Gen´mafia´, die Fortschritte ihrer gremienpolitischen Interventionen, die Implementierung geeigneter Strukturen und für die Kreise der gierigen Nutznießer interessieren oder aber gezwungen sind, sich beruflich damit sich beschäftigen. Quer und auf Subtexte hin gelesen, gestatten es die Beiträge den politisch aufmerksamen LeserInnen zudem, mit hoher Trefferquote zu prognostizieren, welche Keiler die (partei)-politischen Lobbyisten, resp. die RegierungsvertreterInnen demnächst durch die Ministerien, den Reichstag, die Ausschüsse, die Enquete-Kommissionen sowie die von Kanzler Schröder höchstpersönlich handverlesenen und per ordre de mufti eingesetzten Standesräte wie etwa den nationalen Ethikrat jagen werden.