dradio.de

URL: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/621921/


04.05.2007
Das menschliche Gehirn ist eine immer noch nicht vollkommen verstandene Maschine. (Bild: AP) Das menschliche Gehirn ist eine immer noch nicht vollkommen verstandene Maschine. (Bild: AP)

Weniger neu erschaffen als zusätzlich verdrahten

Stammzellen mit ungeahnten Aufgaben im Gehirn

Von Kristin Raabe

Neurologie. - Auch im erwachsenen Gehirn bilden sich neue Zellen und zwar täglich. Dass sich im Gehirn zudem offenbar Stammzellen befinden, die neue Nervenzellen bilden können, weckte sofort Hoffnungen auf neue Therapien. Inzwischen ist aber fraglich, ob die damals entdecken neuronalen Stammzellen tatsächlich über ein solches Potential verfügen.

Sicher wussten ihre Entdecker nur eins: Die neuen Zellen im Gehirn müssen wichtig sein, schließlich findet man sie vor allem in jenem Hirnteil, der für Lernen und Gedächtnis verantwortlich ist. Der sogenannte Hippocampus ist außerdem für die räumliche Orientierung bedeutsam und er verarbeitet emotionale Eingänge. Schnell war klar, dass eine abwechslungsreiche Umgebung und Lernexperimente die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus fördern. Es dauert allerdings noch eine Weile bis Forscher wie Gerd Kempermann vom Berliner Max-Delbrück Zentrum herausfanden, wozu die neugebildeten Nervenzellen eigentlich gut sind.

"Wir stellen uns vor, dass die neuen Nervenzellen zu einer Art Optimierung des Netzwerkes beitragen. Also die bauen das Netzwerk nicht neu auf oder verändern das massiv, sondern das ist so eine Art strategische Entscheidung, hier und da noch einen einzelnen Knoten einzufügen. Das Netzwerk wächst dann. Es wächst sehr langsam nur durch einzelne Zellen, aber die neuen Zellen ersetzen keine alten."

Wenn im natürlichen Zustand, die neuen Zellen gar nicht die Funktion haben, etwas Kaputtes oder Zerstörtes zu ersetzen, dann macht es möglicherweise auch gar keinen Sinn, die Stammzellen im Gehirn als potentielle Ersatzteillieferanten anzusehen. Der Traum der Biotechnologen mit solchen Stammzellen jede durch Alzheimer, einen Schlaganfall oder Parkinson zerstörte Nervenzelle austauschen zu können, ist höchstwahrscheinlich nicht realistisch. Kempermann:

"Also diese Fokussierung auf die Frage, was man mit Stammzellen unter biotechnologischen Gesichtspunkten machen könnte - das ist eigentlich ein Jammer, weil man damit natürlich viele interessante andere Fragen ein bisschen ausblendet. Ich glaube, dass wir viel mehr verstehen müssen, wie dieses Grundprinzip des Lebens, das in den Stammzellen steckt, dass wir das besser verstehen müssen, um dann eben viele Vorgänge im Körper, sei es in Gesundheit oder in Krankheit, eben besser zu verstehen, um darauf eben gegebenenfalls auch neue Therapien aufzubauen."

Besonders ausgeprägt ist die Neubildung von Nervenzellen vor allem in jungen Jahren, wenn Mensch und Tier noch sehr viel lernen müssen. Bei alten Menschen bilden sich nur vereinzelt neue Zellen. Möglicherweise ist die mangelnde Aktivität der Stammzellen im Gehirn von alten Menschen auch ein Grund für die Entstehung von Demenzerkrankungen, wie beispielsweise Alzheimer. Aber auch bei anderen Erkrankungen des Gehirns scheint die Neubildung von Nervenzellen nicht richtig zu funktionieren: Am besten ist das bei Patienten mit einer langjährigen schweren Depression untersucht. Weil sich in ihrem Hippocampus immer weniger neue Zellen bilden, schrumpft dieser wichtige Hirnteil irgendwann sogar. Medikamente gegen Depressionen, sogenannte Antidepressiva, fördern die Neubildung von Nervenzellen, aber es gibt auch noch andere Substanzen, die das können. Gerd Kempermann:

"Wenn Sie die Literatur zu dem Thema angucken, dann haben sie den Eindruck, dass, wenn im Nebenraum geniest wird, dann geht die Nervenzellneubildungsrate hoch, und das ist natürlich erstaunlich. Und wenn man dann darüber nachdenkt und das genauer erforscht, dann stellt sich die Sache schon ein bisschen anders da. Es mag Substanzen geben, wie zum Beispiel die Antidepressiva oder andere, die man schlucken könnte, um vielleicht das Potential zur Nervenzellneubildung zu erhöhen, aber dann muss etwas weiteres dazu kommen und das ist von dem, was wir bisher wissen, gekoppelt an die Funktion, also in dem Fall zum Beispiel ein Lernreiz oder die Erfahrung von Komplexität oder Neuartigkeit in der Umgebung."

Neue Nervenzellen im Gehirn zu haben, reicht nicht. Die Zellen müssen sich auch sinnvoll in das bestehende Netzwerk integrieren. Und das tun sie nur, wenn durch das Verhalten ein entsprechender Anreiz gegeben ist. Darum können Antidepressiva alleine keine Depression heilen. In Kombination mit einer Psychotherapie allerdings sind sie sehr wirksam.