Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin _
Merkblatt zur BK Nr. 4302: Obstruktive Atemwegserkrankungen |
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Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe kommen an zahlreichen Arbeitsplätzen als Inhalationsnoxen vor. Sie sind teilweise mit den früher üblichen Begriffen "Reizstoffe" oder "Reizgase" identisch. Die BK Nr. 4302 betrifft jedoch nur durch diese Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Bei den nachfolgend beispielhaft aufgeführten Arbeitsstoffen liegen hierüber zum Teil empirischkasuistische Erfahrungen, zum Teil auch epidemiologisch gesicherte Erkenntnisse vor.
Die Noxen können in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren:
Auf zahlreiche weitere in der Literatur genannte Stoffe wird hingewiesen.
*) Vorbemerkung zu Nr. 4301 und 4302 s. M 4301 S. 1. | |
**) In diesen Fällen hat die BK-Anzeige nach der in der Klammer angegebenen BK-Nr. zu erfolgen. |
Im Einzelfall sind Intensität und Dauer der Einwirkung zu berücksichtigen, immer ist
aber auch mit der Möglichkeit einer individuellen Empfindlichkeitssteigerung zu rechnen.
Bedeutsam ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Kranheitsbeginn.
Die Aufnahme erfolgt fast ausschließlich über das Atemorgan. In Abhängigkeit von
Intensität und Dauer der beruflichen Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder
toxisch wirkenden Stoffen kommt es lokal zur Irritation sensorischer Rezeptoren und/oder
zur primär-toxischen Schleimhautschädigung vorwiegend im Bereich der mittleren und
tieferen Atemwege. Diese Wirkungen können reversibel sein. Der Übergang in einen
chronisch-obstruktiven Zustand ist aber möglich.
Das Reaktionsmuster des broncho-pulmonalen Systems ist trotz der chemischen Verschiedenartigkeit der als Gefahrenquellen bekannt gewordenen Arbeitsstoffe verhältnismäßig einförmig. Im Vordergrund stehen akut oder schleichend einsetzende Beschwerden in Form von Husten, unterschiedlich starkem Auswurf, Atemnot und vereinzelt Brustschmerzen. Reizwirkungen an den Schleimhäuten im Bereich der Augen und des Nasen-Rachenraums werden beobachtet.
Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes steht die Atemwegsobstruktion, häufig in Verbindung mit einer Lungenüberblähung. Meist sind auch Atemnebengeräusche auskultierbar. Bei den morphologischen Veränderungen der Bronchialschleimhaut stehen Entzündungszeichen mit Schleimhautschwellung im Vordergrund. Daneben bestehen Hypersekretion, Dyskrinie und Störungen des Selbstreinigungsmechanismus der Atemwege. - Folgende Verlaufsformen lassen sich unterscheiden:
- massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Reversibilität;
- massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Irreversibilität;
- chronische Exposition: schleichend beginnendes Krankheitsbild, Reversibilität nach Expositionsende;
Mischformen und Sonderverläufe kommen vor. Die Verlaufsform hängt vom Ausmaß der
Exposition und der individuellen Reaktionsbereitschaft ab. Eine Anfälligkeit gegenüber
viralen und bakteriellen Bronchialinfekten mit verzögerter Heilungstendenz wird
beobachtet. Als Komplikationen sind ferner u. a. Bronchopneumonien und das chronische Cor
pulmonale zu nennen. Im chronischen Erkrankungsstadium bestehen Beschwerden und Befunde
unabhängig von der beruflichen Exposition gegenüber den genannten Arbeitsstoffen.
Hinsichtlich der Vorgeschichte, der Untersuchungsverfahren und der Beurteilung der broncho-pulmonalen Funktionsstörung einschließlich ihrer kardio-zirkulatorischen Rückwirkung sowie der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit gelten die im Merkblatt zu BK Nr. 4301 wiedergegebenen Hinweise sinngemäß.
Die Indikation zur inhalativen Testung ist streng zu stellen. Besondere Erfahrung und eine entsprechende apparative Ausstattung sind hierfür Voraussetzung. Bei einer Vielzahl von Arbeitsstoffen, insbesondere den primär-toxisch wirkenden, ist von Inhalationstests in der Regel abzuraten.
Neben Intensität und Dauer der Einwirkung chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe kann eine epidemiologisch-statistische Häufung von obstruktiven Atemwegserkrankungen unter vergleichbaren Kollektiven auf eine tätigkeitsbedingte Verursachung hinweisen.
Differentialdiagnostisch müssen obstruktive Atemwegserkrankungen infolge von außerberuflichen Ursachen, wie chronischem Nikotinabusus, Allergien, akuten und chronischen Infektionen der Atemorgane usw. bei der Beurteilung des Kausalzusammenhanges berücksichtigt werden.
Schwierig wird die Beurteilung insbesondere, wenn bei einer vorbestehenden unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität und/oder chronisch-obstruktiven Bronchitis aus nichtberuflicher Ursache durch berufliche Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen eine obstruktive Atemwegserkrankung entsteht oder sich verschlimmert.
Eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität und/oder eine chronisch-obstruktive Bronchitis aus außerberuflicher Ursache und ohne wesentliche Verschlimmerung durch Einwirkung chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe fällt nicht unter die BK Nr. 4302 der BeKV.
- Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen: G 23 Gefährdung durch Inhalation von Allergenen und chemisch-irritativen Stoff en, Fassung Nov. 1974. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V., Loseblattausgabe, A. W. Gentner Verlag, Stuttgart.
- Ehrlicher, H.: Reizgasvergiftungen. In: Hb. ges. Arbeitsmed. II/l. Bd. Berufskrankheiten. Urban & Schwarzenberg Verlag, Berlin, München, Wien, 1961, 339-390
- Reichel, G.: Diagnostik und Beurteilung berufsbedingter obstruktiver Atemwegserkrankungen aus toxischer oder chemisch-irritativer Ursache. Arbeitsmed. Sozialmed. Präventivmed. 13 (1978) 270-275
- Thiess, A. M.: Reizgasvergiftungen in der betrieblichen Praxis und ihre Beurteilung. Ärztl. Fortbildung 17: (1970) 368-373
- Ulmer, W. T.: Unspezifische chemisch-physikalische Reize als Ursache von Asthmaanfällen. Schweiz. med. Wschr. 96 (1966) 941-944
- Valentin, H. et al.: Arbeitsmedizin. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch für Ärzte und Studenten. 2 Aufl.; Thieme, Stuttgart 1979, S. 304-310
- Woitowitz, H.-J.: Zur Problematik der berufsbedingten, durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffen verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen. In: Berufskrankheiten in der keramischen und Glas-Industrie, H. 29 (1979) S. 34-56
- Woitowitz, H.-J., H. Valentin und H.G. Krieger: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Praxis Pneumol. ... im Druck
- Worth, G. und W. Kersten: Klinik des beruflichen chemischtoxisch bedingten Astma bronchiale. Arbeitsmed. Sozialmed. Präventivmed. 8 (1973) 106-108
Chronisch einwirkende, chemisch-irritative oder toxische Stoffe als
Ursache berufsbedingter obstruktiver Atemwegserkrankungen.
(Reihenfolge in etwa nach allgemeiner Häufigkeit und Bedeutung)
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Stoffgruppe |
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Maximale Arbeitsplatzkonzentration **) (MAK) 1995 (mg/m3) |
Anmerkungen | ||||
Aliphatische Amine, z. B.: | Chemische Industrie | ++ | ++ | ||||||
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Lösemittel in Gummi-, Arzneimittel- und Lackindustrie | + | + | 25 | direkte Freisetzung von Histamin diskutiert | ||||
Sprayen von Acrylfarben | 15 | ||||||||
Härter für Kunstharze | (+) | (+) | 40 | ||||||
Flußmittel f. Löten v. Aluminium | (+) | (+) | 8 | ||||||
Entwickler in der Fototechnik | (+) | (+) | 0,1*) | ||||||
Isocyanate, Diisocyanate |
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Hart- u. Weichschäumeuch bei Anwendung von; 2-Komponenten-Lacken und -Klebern | ||||
Persulfate |
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Epichlorhydrin (Moleküle mit Epoxikonfiguration = z. B. Glyzidether) |
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ergeben mit Polyolen technische Kleber | ||||
Maleinsäureanhydrid |
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Acrylate Methylmethacrylate |
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Cyanacrylat als Härter von Sekundenklebern | ||||
Polytetrafluorethenspaltprodukte
(z. B.Teflon) und Polyvinylchloridspaltprodukte |
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pyrolytische Polymerenprodukte verursachen auch das Polymerenrauchfieber (systemische Spätreaktion | |||||
Formaldehyd |
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Furfurylalkohol |
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z. B. in Metallgießereien | ||||
Azodicarbonamid |
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Halazon |
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Azofarben und Anthrachinon |
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bewirken meist nur eine bronchiale Hyperreagibilität | |||||
Anthracen |
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Vanadium |
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auch sensibilisierende Eigenschaften diskutiert | |||||
Kühlschmiermittel (Bohröle) |
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vereinzelte Sofortreaktion beschrieben | ||||||
Ozon |
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nur Erhöhung der bronchialen Reagibilität nachgewiesen | ||||
* krebserzeugendes Potential für den Menschen vermutet
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© E.Münzberger | |
Letzte Revision: 11.10.2001 |