Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin
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  Merkblatt zur BK Nr. 4301: 
Durch allergisierende Stoffe verursachte Atemwegserkrankung 

Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen*) (einschließlich Rhinopathie),
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können
(Bek. des BMA vom 10. 7.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1979)

 *) Vorbemerkung zu Nr. 4301 und 4302 der Anlage 1 BeKV 
Der Begriff "obstuktive Atemwegserkrankungen" umfaßt verschiedene akute und chronische Krankheitsbilder. Sie sind in der Bevölkerung weit verbreitet und nur zu einem Teil durch Arbeitsstoffe bedingt. 
Eine Unterteilung kann nach der Krankheitsursache erfolgen. Atiologisch sind zu unterscheiden: die obstruktiven Atemwegserkrankungen aus allergischer Ursache (BK Nr. 4301) und die durch chemische Stoffe irritativ oder toxisch verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen (BK Nr. 4302). 

I. Gefahrenquellen

Berufliche Allergene sind Arbeitsstoffe mit allergisierender Potenz. Sie kommen an den verschiedensten Arbeitsplätzen vor. Meist handelt es sich um einatembare Stoffe pflanzlicher oder tierischer Herkunft. Bekannte Gefahrenquellen sind beispielsweise die Exposition gegenüber folgenden Allergenen:

Pflanzliche Allergene
z. B. Staub von Mehl und Kleie aus Getreide, Stäube verschiedener Holzarten, Rizinusbohnenstaub, Rohkaffeebohnenstaub, Kakaobohnenstaub, Lykopodiumstaub, algenhaltige Aerosole, z. B. aus Luftbefeuchtungsgeräten, Schalenstaub und Saft der Zwiebeln von Narzissen und Tulpen, Futtermittelstaub wie von Luzerne, Staub von Jute, Kapok.

Tierische Allergene
z. B. Insektenstaub, Federnstaub, Haarstaub, Rohseidenstaub, Perlmutterstaub, Ascarisgeruchsstoffe.

Sonstige.Allergene

Daneben kommen zahlreiche weitere Arbeitsstoffe, z. B. auch Arzneimittel wie Antibiotika, Sulfonamide, Salvarsan, ferner auch Proteasen sowie p-Phenylendiamin (Ursol) als berufliche Inhalationsallergene in Betracht.

II. Pathophysiologie

Haupteintrittspforte beruflicher Inhalationsallergene in den Organismus ist das Atemorgan. In Abhängigkeit von der allergenen Potenz des Arbeitsstoffes sowie der Dauer, Häufigkeit und Konzentration des inhalativen Allergeneinstromes können disponierte Personen Antikörper, z. B. Immunglobulin E, bilden. Eine derartige substratspezifische Sensibilisierung führt nach erneutem inhalativem Kontakt zu einer Antigen-Antikörper-Reaktion.

Am Arbeitsplatz herrschen Allergien vom Sofortreaktionstyp (Typ 1 nach COOMBS u. GELL) vor. Hierbei kommt es zur Freisetzung verschiedener Mediatorsubstanzen. Sie üben speziell über bestimmte Rezeptoren des autonomen Nervensystems eine bronchokonstriktorische Wirkung aus. Als Leitsymptom resultiert die akut-intermittierende obstruktive Ventilationsstörung, vor allem infolge des funktionellen Bronchiolospasmus. Eine damit einhergehende akute Lungenüberblähung (akutes Volumen pulmonum auctum) wird beobachtet. Als Kennzeichen des Sofortreaktionstyps ist das klinische und pathophysiologische Erscheinungsbild in den ersten 60 Minuten nach inhalativer Auslösung des allergischen Schockfragments am stärksten ausgeprägt. Die allergisch verursachte akute obstruktive Atemwegserkrankung ist im Stadium ohne Sekundärkomplikationen in der Regel nach etwa 4 Stunden spontan, d. h. auch ohne Behandlung abgeklungen.

Seltener kommt ein verzögerter Reaktionstyp (Typ III) der obstruktiven Atemwegserkrankung vor. Die obstruktive Ventilationsstörung setzt meist 4 bis 36 Stunden nach der Allergeninhalation ein. Hierbei können präzipitierende Antikörper, z. B. Immunglobulin G, unter Bildung von Immunkomplexen bronchokonstriktorisch wirken. Der weitere Verlauf kann durch diffuse fibrotische Gewebsreaktion im Sinne einer "allergischen Alveolitis" gekennzeichnet sein.

  III. Krankheitsbild und Diagnose

Die durch allergisierende Arbeitsstoffe verursachten obstruktiven Aternwegserkrankungen vom Soforttyp verlaufen häufig in drei Stadien:

Anfangsstadium

Es beginnt häufig mit Reizerscheinungen der Augenbindehäute und insbesondere im Bereich der Atemwege als allergische Rhinopathie. Kennzeichen sind: Augenbrennen, vor allem aber zahlreich aufeinanderfolgendes Niesen, wäßriges Nasensekret und Verlegung der Nasenatmung. Niessalven und Fließschnupfen folgen der Allergenexposition zeitlich unmittelbar und sind reproduzierbar. NasennebenhöhlenbeteWgung kommt vor.

Stadium ohne Sekundärkomplikationen

Anfallsartige Beschwerden in Form von Luftnot, Husten und z. T. Auswurf zeigen das Übergreifen der Erkrankung auf die tieferen Luftwege an.

Objektiv läßt sich eine akut-intermittierende obstruktive Ventilationsstörung, meist in Verbindung mit akuter Lungenüberblähung, nachweisen. Oft sind auch Atemnebengeräusche (Pfeifen, Giemen, Brummen) feststellbar. Der zeitliche Abstand zwischen Beginn der allergischen Rhinopathie und dem erstmaligen Auftreten des allergisch verursachten funktionellen Bronchiolospasmus ist individuell unterschiedlich. Es kommen Zeiträume in der Größenordnung von Tagen, aber auch von mehreren Jahren vor. Allergenkarenz führt in diesem Erkrankungsstadium noch zu Beschwerde- und Symptomfreiheit, z. B. an arbeitsfreien Wochenenden oder während des Urlaubs. Die vorgenannten Stadien sind bei Fortfall der Exposition im allgemeinen reversibel.

Stadium mit Sekundärkomplikationen .

Als Komplikation ist häufig die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität anzutreffen. Anamnestisch wird hierbei angegeben, daß nach Beginn der Atemwegsallergie auch unspezifische inhalative Noxen, wie Bratdünste, Tabakrauch, Stäube ohne allergene Potenz, Kaltluft, Nebel usw. Atembeschwerden verursachen. Objektiv läßt sich im Inhalationstest eine in der Regel vorübergehende obstruktive Ventilationsstörung messen. Differentialdiagnostisch ist sie aufgrund der kürzeren zeitlichen Dauer, des geringeren Schweregrads und des andersartigen zeitlichen Verlaufs von der allergisch verursachten akut-intermittierenden obstruktiven Ventilationsstörung meist abzugrenzen.

Nach im Einzelfall unterschiedlicher Dauer führt die allergisch verursachte obstruktive Atemwegserkrankung häufig sekundär zu einer Anfälligkeit gegenüber viralen und bakteriellen Bronchialinfekten mit verzögerter Heilungstendenz. Infolge Schleimhautschwellung, Hypersekretion und Dyskrinie kommt es zur im allgemeinen nicht mehr reversiblen Komplikation, der chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung mit oder ohne Emphysem, auch ohne erneute Allergeninhalation. Kennzeichen des Spätstadiums sind die respiratorische und rechtskardiale Insuffizienz.

IV. Weitere Hinweise

Die Verdachtsdiagnose und damit die BK-Anzeige einer allergisch verursachten obstruktiven Atemwegserkrankung vom Sofortreaktionstyp läßt sich bereits mit den charakteristischen Angaben zur Beschwerde-, Arbeitsplatz- und Expositionanamnese begründen. Dies gilt speziell beim Vorliegen von Augenbrennen, Niessalven, Fließschnupfen und anfallsartigen Atembeschwerden unmittelbar und reproduzierbar nach beruflicher Allergeninhalation.

Die gezielte Erhebung der Arbeits-, der allergologischen und der Beschwerdeanamnese ist von besonderer Bedeutung. Eine körperlich-physikalische, elektrokardiografische, röntgenologische, laborklinische und funktionsanalytische Untersuchung dient dem Ausschluß konkurrierender Ursachen der obstruktiven Ventilationsstörung. Ätiologisch sind z. B. Linksherzinsuffizienz bei Bluthochdruck, frühere Lungenkrankheiten sowie starkes Rauchen zu berücksichtigen.

Aus einer nicht berufsbedingten chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung als Vorschaden kann sich im Einzelfall nachfolgend eine durch Inhalation von Berufsallergenen verursachte, zusätzliche, akut-intermittierende obstruktive Ventilationswirkung entwickeln, die der vorbeschriebenen Pathogenese entspricht.

Zur Objektivierung und Quantifizierung der pulmo-kardialen Auswirkungen sind Funktionsprüfungen wie die Ganzkörperplethysmograrie, Spirografie, Blutgasanalyse und Ergometrie erforderlich. Funktionsanalytisch interessieren bei Untersuchungen in Körperruhe Kenngrößen der obstruktiven Ventilationsstörung, ventilatorische Verteilungsstörung und Lungenüberblähung, daneben Kenngrößen einer restriktiven Ventilationsstörung und Störung des respiratorischen Gasaustausches. Darüber hinaus lassen Untersuchungen während Ergometerbelastung Rückschlüsse auf eine ggf. bereits eingetretene Einschränkung der broncho-pulmonalen und/oder kardio-zirkulatorisch Leistungsbreite zu.

Der Nachweis der beruflichen Verursachung einer allergisc bedingten obstruktiven Aternwegserkrankung sollte nac Möglichkeit anhand einer inhalativen Provokation - welch besondere Erfahrung voraussetzt - geführt werden. Hierfür sind die individuell verwendbaren Arbeitsstoffe in Annäherung an die jeweiligen Arbeitsplatzverhältnisse zu bevorzugen (arbeitsplatzbezogener Inhalationstest). Das gleiche gilt für den Einsatz registrierender und von der Mitarbeit des Untersuchten weitgehend unabhängiger Nachweisverfahren der obstruktiven Ventilationsstörung und der Lungenüberblähung, wie der Ganzkörperplethysmographie.

Eine vorausgehende Hauttestung mit den in Frage kommenden Allergenen kann angezeigt sein. Aus einem positiven Ergebnis des Hauttests allein kann jedoch noch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine beruflich bedingte obstruktive Atemwegserkrankung aus allergischer Ursache geschlossen werden. Erkrankungsfälle mit negativem Ergebnis des Hauttests und positivem Ergebnis des Inhalationstests kommen zur Beobachtung. Kontraindikationen inhaltiver Testung sind zu berücksichtigen.

Hinsichtlich des Vorkommens beruflicher und außerberuflicher Inhalationsallergene sind folgende Expositionsbedingungen zu unterscheiden:

  1. Vorkommen ausschließlich bei der versicherten Tätigkeit,
  2. Vorkommen überwiegend bei der versicherten Tätigkeit,
  3. Vorkommen sowohl bei der versicherten als auch bei nicht versicherten Tätigkeiten und
  4. Vorkommen ausschließlich bei nicht versicherten Tätigkeiten.
In der Regel werden nur die unter Ziff. 1 und 2 genannten Expositionsbedingungen die Annahme einer beruflichen Verursachung begründen.

Der Schweregrad läßt sich anhand der in Ruhe und unter Arbeitsbedingungen nachweisbaren Folgen der allergisch verursachten obstruktiven Aternwegserkrankung abschätzen. Darüber hinaus stellt der Nachweis der unspezirischen bronchialen Hyperreagibilität und/oder der chronischobstruktiven Atemwegserkrankung bei der beruflichen Rehabilitation eine Eignungsbeschränkung für Tätigkeiten mit Exposition gegenüber inhalativen Noxen (Dämpfen, Rauchen, Gasen oder Stäuben) dar.

 V. Literatur


Wir haben das Merkblatt für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen. 
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten.
Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.


© E.Münzberger 
Letzte Überarbeitung: 21.8.2000