Universität Rostock
- Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin_
Merkblatt zur BK Nr 4202:
Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen
durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
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Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-,
Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. des BMA v. 16. August 1989, BABI. 11/1989)
Die Byssinose ist eine Bronchial-Lungenerkrankung, die durch die Einatmung
von Stäuben mit Pflanzenteilen auf tritt, wie sie bei der Produktion
von Textilien aus Rohbaumwolle, Rohflachs oder Rohhanf entstehen. Sie entwickelt
sich erst nach mehrjähriger Exposition.
I. Vorkommen und Gefährdung
Gefährdet sind Personen, die in Vorreinigungsbereichen (Mischräumen,
Putzereien, Batteur- und besonders Kardenräumen) von Baumwoll- oder
Flachsspinnereien (Hechelräumen) oder mit der Zubereitung (z. B. Ausklopfen)
von verrotteten Hanfpflanzen (Cannabis sativa) beschäftigt sind. Sehr
selten wird die Byssinose auch in den Spinnerei-Räumen angetroffen.
II. Pathophysiologie
Der Staub von ungereinigter Rohbaumwolle, Rohflachs oder verrotteten Hanfpflanzen,
der durch Inhalation in die tieferen Atemwege und in die Lungen gelangt,
enthält verschiedene Pflanzenteile, z. B. Stengel, Blätter und
Samenhüllblätter der Baumwollpflanze. Darin, nicht aber in den
zu verarbeitenden Fasern selbst, konnte ein toxisch wirksames Potential
nachgewiesen werden, das möglicherweise von polyphenolischen Gerbsäuren
herrührt, die kontrahierend auf die glatte Muskulatur wirken. Die
frühere Vorstellung, daß durch einen pflanzlichen Liberator
aus menschlichen Körperzellen ein Vielfaches von genuin enthaltenen
kreislauf aktiven Stoffen freigesetzt wird, sofern die Speicher nach Arbeitspausen
wieder aufgefüllt worden sind, würde zwar die klinische Symptomatik
(Montagssymptomatik) gut erklären, erscheint aber aufgrund unseres
heutigen Wissens zu vereinfacht. Eine vermehrte Ausscheidung von Histamin-Metaboliten
wurde beispielsweise bei Personen beobachtet, deren respiratorische Sekundenkapazität
nach Inhalation von Hanfstaub überdurchschnittlich stark abgenommen
hat. Im wässrigen Extrakt von Baumwollstaub hat man nach Elimination
mikrobieller Verunreinigungen auch Proteasen und Elastasen gefunden, die
möglicherweise bronchokonstriktive Stoffe sowie Kallikrein und Bradykinin
aktivieren. In vitro konnte nachgewiesen werden, daß ein Extrakt
von Samendeckblättern der Baumwollpflanze Substanzen enthält,
die den Stoffwechsel der Arachidonsäure zur Freisetzung von Metaboliten
(Leukotrienen, Thromboxan-A2, 5-Hydroxytryptamin) anregen. Auch Endotoxine
aus gramnegativen Bakterien im Baumwollstaub werden als Krankheitsursache
diskutiert.
Eine pathogenetische Bedeutung immunologischer Faktoren war bisher nicht
nachweisbar. Die Gründe für die oft langjährige Latenz zwischen
Beginn der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden sind noch nicht
geklärt.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Am ersten Arbeitstag im Anschluß an eine mindestens einbis zweitägige
Arbeitspause (Wochenende, Urlaub) entwickelt sich nach mehrstündiger
Staubexposition die sog. Montagssymptomatik. Sie besteht in Atemnot (Dyspnoe),
Engegefühl in der Brust bei der Atmung, Hitzegefühl und allgemeiner
Abgeschlagenheit. Sie hält mehrere Stunden nach Arbeitsende noch an.
Ein Anstieg der Körpertemperatur ist nicht charakteristisch. Eine
funktionsanalytisch nachweisbare Bronchialobstruktion während der
Arbeitsschicht ist für Byssinose nicht beweisend.
Im Stadium I der Byssinose dauern diese Beschwerden nur den ersten Arbeitstag
über an, während sie im Stadium II bis zur Mitte der Arbeitswoche
anhalten. Diese beiden Stadien sind nach Wegfall der Exposition reversibel.
Im Stadium III, das sich selten und erst nach jahrzehntelanger Exposition
aus den vorgehenden Stadien entwickelt, besteht ein unspezifisches chronisch-respiratorisches
Syndrom mit anhaltender Kurzatmigkeit, Husten und Auswurf. Klinisch und
funktionell findet sich in diesem Stadium eine chronische obstruktive Bronchitis,
die durch Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens kompliziert
sein kann.
Eine für die Byssinose charakteristisches Röntgenbild gibt
es ebensowenig wie einen spezifischen Hauttest oder typische immunserologische
Befunde. Auch pathologisch-anatomisch findet sich kein krankheitsspezifisches
Bild. Der inhalative Provokations-Test mit Baumwollstaub-Extrakten liefert
keine differentialdiagnostisch verwertbaren Ergebnisse.
IV. Weitere Hinweise
Wesentliche Voraussetzung ist die gezielte Erhebung der Krankheits- und
Arbeitsanamnese. Besondere Beachtung verdient dabei die Schilderung des
Beginns der Beschwerden mit der typischen "Montagssymptomatik". Diese Symptomatik
erleichtert zugleich die Abgrenzung gegen das allergische Asthma bronchiale.
Im Gegensatz hierzu tritt bei der Byssinose, zumindest in den Frühstadien,
auch unter Fortdauer der Exposition im Verlauf der Arbeitswoche eine Verminderung
der Beschwerden ein.
Chronische Bronchitis, Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens
sind häufig anderweitig verursacht. Die Frage des ursächlichen
Zusammenhangs mit der spezifischen Exposition ist sorgfältig zu prüfen.
Mit einer ständigen Beeinträchtigung der allgemeinen körperlichen
Leistungsfähigkeit ist in der Regel erst im Stadium III der Byssinose
zu rechnen. Untersuchungen der Atmungs- und der Herz-Kreislauffunktionen,
u. a. zum Nachweis restriktiver oder obstruktiver Ventilationsstörungen
sowie des chronischen Cor pulmonale, sind erforderlich und bilden im allgemeinen
eine ausreichende Grundlage für die Beurteilung.
V. Literatur
Bouhuys, A., Barbero, A., Lindell, S.-E., Roach, S. A., Schilling, R. S.
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In: Ulmer, W. T., G. Reiche] (Hrsg.): Pneumokoniosen. Handbuch der Inneren
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Woitowitz, H.-J.: Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch
Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose). In: H. Valentin, G. Lehnert,
H. Petry, G. Weber, H. Wittgens, H.-J. Woitowitz: Arbeitsmedizin, Bd. 2
Berufskrankheiten, 3. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York, 1986, 281-285
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© E.Münzberger
Letzte Überarbeitung: 1.3.1999