Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin

 
Merkblatt zur BK Nr. 4201: Exogen-allergische Alveolitis

 Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. des BMA v. 16. August 1989, BAB1. 11/1989) 
Exogen-allergische Alveolitiden (synonym: Hypersensitivitäts-Pneumonitiden) sind akute, subakute und chronische Lungenentzündungen, die durch eingeatmete Antigene verursacht werden und zur Lungenfibrose neigen. Hierzu gehören die Farmerlunge, die Vogelhalter-Lunge und die Befeuchter-Lunge sowie eine Reihe seltener beobachteter Erkrankungen.
 
 

I. Vorkommen und Gefahrenquellen

Die Farmerlunge tritt bevorzugt in regenreichen Gebieten (Alpenrand, Küstengebiete) während der Spätherbst-, Winter- und Frühjahrsmonate auf. Gefährdet sind vor allem Personen, die bei landwirtschaftlichen Arbeiten den Staub von verschimmelten Futter- und Einstreumitteln (Heu, Stroh u. a.) einatmen. Der Staub, der sich bei der Geflügelhaltung oder Weiterverarbeitung der Federn entwickelt, kann eine Vogelhalter-Lunge hervorrufen. Die Befeuchter-Lunge wird vorwiegend in Druckereibetrieben, vereinzelt auch in vollklimatisierten Arbeitsräumen beobachtet.

Seltene berufliche Gefahrenquellen entstehen u.a. durch:

-  Rösten von Kaffee
-  Verarbeiten getrockneter Tabakblätter.
Ursächlich wirken sensibilisierende organische Materialien vor allem aus Sporen von thermophilen Actinomyceten, Aspergillen und anderen Schimmelpilzen, ferner Bestandteile von Vogelfedern (Einfettsekrete?) und Proteine von Insekten und Schalentieren. Mit der Entdeckung weiterer gefährdender Stäube muß gerechnet werden.

Nach Einatmung der unterschiedlichen Antigene entwickelt sich bei entsprechender Disposition im Alveolarbereich ein allergisches Geschehen, wahrscheinlich überwiegend nach Typ III der Immunologie-Klassifikation. Letztlich liegt eine Entzündung durch Freisetzung intrazellulärer Mediator-Substanzen vor, die von Immunkomplexen oder direkt von den durch Antigene sensibilisierten T-Suppressor-Lymphozyten stammen. Die Immunkomplexe entstehen durch Reaktion der nach früheren Kontakten im Serum zirkulierenden IgG-Antikörper mit den erneut inhalierten Antigenen in der Lunge. Auch kann eine Aktivierung des Komplementsystems auf dem alternativen Weg unter Komplementverbrauch mit verzögerter Reizantwort nach Art des Arthus-Phänomens zustande kommen.
 
 

Die Erkrankung entwickelt sich oft erst nach jahrzehntelanger Exposition. Man kann - allerdings ohne scharfe Abgrenzung - einen akuten, einen subakuten und einen chronischen Krankheitsverlauf unterscheiden. In typischen Fällen beginnt die exogen-allergische Alveolitis mehrere Stunden nach meist massiver Staubeinwirkung (z. B. Stallarbeiten) mit dem klinischen Bild einer Pneumonie (Farmer-, Vogelhalter-Lunge). Nach prothahierter Einatmung des Antigens finden sich auch subakut oder chronisch zunehmende Krankheitserscheinungen (z. B. Befeuchter-Lunge).

Es treten Atemnot, Husten ohne wesentlichen Auswurf, Engegefühl im Brustkorb, Abgeschlagenheit und klassischerweise akut Fieber mit Frösteln und Gliederschmerzen auf. Auskultatorisch finden sich basal und in den Mittelfeldern ohrnahe fein- bis mittelblasige Rasselgeräusche.

Funktionell handelt es sich zunächst um eine restriktive Ventilationsstörung und um eine pulmonale Diffusionsstörung. In der Folge stellen sich auch Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme ein. Die einzelnen Krankheitsschübe können folgenlos ausheilen oder zu fortschreitender Lungenfibrose führen.

Röntgenologisch sieht man im akuten Stadium Zeichen eines interstitiellen und alveolären Ödems, nicht selten auch feinere und gröbere, zur Konfluenz neigende Fleckschatten, meist Hilusnah und in den Unterfeldern. Bisweilen treten erst Tage nach der Exposition punktförmige Verschattungen auf, deren Streuung so dicht sein kann, daß sie dem bloßen Auge als milchig-glasige Trübungszonen erscheinen. Die Fibrose des chronischen Stadiums stellt sich durch streifige, retikuläre, später auch zystische Strukturen mit zirrhotischen und emphysematösen Veränderungen dar.

Funktionell handelt es sich um eine restriktive Ventilationsstörung (Verminderung der Vitalkapazität) und pulmonale Diffusionsstörung (Verminderung des CO-Transfer-Faktors, Abfall des Sauerstoffpartialdrucks im arteriellen Blut nach Ergometer-Belastung). Eine Bronchialobstruktion gehört primär nicht zum Krankheitsbild, sie kann sich aber schleichend früher oder später einstellen, in aller Regel erst nach Durchlaufen rezidivierender, akuter Krankheitsschübe.

Unter den Laborbefunden tritt häufig eine Vermehrung der Gamma-Globuline im Serum hervor. Mit immunologischen Untersuchungen (Doppel-Immundiffusion nach Ouchterlony, ELISA, Radioimmunoassays, Immunoblotverfahren usw.) können häufig im Serum IgG-Antikörper (z. B. gegen thermophile Actinomyceten, Aspergillen und Schimmelpilze, Extrakt aus arbeitsplatzbezogenem, verschimmeltem Heu) festgestellt werden. Diese sind jedoch für die Diagnose nur bedingt aussagekräftig, da einerseits ein derartiger Nachweis auch an über 20 Prozent von gesunden exponierten Personen gelingt und andererseits eine exogen-allergische Alveolitis auch durch direkte Antigen-Wirkung ohne Bildung von IgG-Antikörpern entstehen kann. In der broncho-alveolaren Lavage findet sich in der Regel eine Vermehrung der Lymphozyten mit einem erhöhten Anteil der T-Suppressorzellen. In der akuten Phase herrscht typischerweise eine Granulozytose vor.

Das histologische Bild ist gekennzeichnet durch eine diffuse, oft peribroncholär betonte, interstitiell-entzündliche Rundzellinfiltration mit Granulomen aus epitheloiden sowie Fremdkörper-Riesenzellen mit Lymphozytensaum. Die Spätphase mit der chronischen interstitiellen Lungenfibrose ist weder makroskopisch noch mikroskopisch krankheitsspezifisch und kann von anderen Formen der fortgeschrittenen Lungenfibrose nicht unterschieden werden.

Die Erhebung einer eingehenden Arbeitsanamnese mit dem verzögerten, 4 bis 6 Stunden nach Exposition auftretenden, akuten Krankheitsbild ist besonders wichtig. Gelegentlich ist zur Diagnose von schleichenden chronischen Verläufen sowie von Spätstadien mit ausgeprägter, uncharakteristischer Lungenfibrose ein arbeitsplatzbezogener inhalativer Provokationstest hilfreich. Er bedarf stets einer strengen Indikationsstellung und sollte besonders erfahrenen Untersuchern vorbehalten bleiben. Bei positivem Ausfall treten nach vier bis sechs Stunden nicht nur systemische Reaktionen (Anstieg der Körpertemperatur und der Leukozyten im peripheren Blut, Engegefühl im Brustkorb, Gliederschmerzen), sondern auch ein erheblicher Abfall der Vital- und Diffusionskapazität sowie des arteriellen Sauerstoffpartialdrucks, aber keine wesentliche Erhöhung des Atemwegwiderstandes auf. Ferner können feinblasig klingende Rasselgeräusche und röntgenologisch wahrnehmbare Veränderungen beobachtet werden.

Differentialdiagnostisch müssen vor allem eine Sarkoidose, die sogenannte idiopathische, fibrosierende Alveolitis (z. B. Haman-Rich-Syndrom) und Lungenfibrosen anderer Genese, abgegrenzt werden. Die Sakoidose neigt in ihren Frühstadien abweichend von der exogen-allergischen Alveolitis zur deutlichen Vergrößerung der Hiluslymphknoten und zu einem bilateralen, spiegelbildlichen Röntgenbefund. Sie bewirkt eine Vermehrung der T-Helfer-Lymphozyten im Alveolarraum, die in der Spülflüssigkeit nachgewiesen werden kann. Der Krankheitsprozeß einer idiopathischen, fibrosierenden Alveolitis ist gekennzeichnet durch eine anhaltende Vermehrung der Granulozyten in der bronchoalveolären Lavage.
 

V. Literatur



Anmerkungen

Die Anmerkungen (in grüner Schrift) sind eine Abschrift aus:
G. Mertens und E. Perlebach: Die Berufskrankheitenverordnung (BeKV),
Ergänzbare Sammlung der Vorschriften, Merkblätter und Materialien
Berlin: Erich Schmidt Verlag 1977
1 Erkrankung durch die VO der Änderung der 7. BeKV v. 8. 12.1976 eingeführt als Farmer-(Drescher-)Lunge; die derzeit geltende Fassung wurde durch die VO zur Änderung der BEKV v. 22. 3. 1988 geändert. Zur Rückwirkung s. Art. 3 Abs. 2 (C 20 S. 6) 

 

2 BK Nr. 42 01 gehört zur Untergruppe 42 "Erkrankungen durch organische Stäube". 

Unter organischen Stäuben sind sowohl atembare Schwebstoffe pflanzlicher oder tierischer Herkunft, als auch Stäube organisch-chemischer Verbindungen zu verstehen, z.B. Isocyanate, Phthalsäure-, Trimellith-Anhydrid (vgl. Merkblatt zu I). 

 

3 Erkrankungen 

In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Pneumokoniosen beschrieben worden, die durch die Inhalation organischer Stäube am Arbeitsplatz verursacht werden können. Voraussetzung ist, daß die Partikel in hohen Konzentrationen und lungengängiger Größe von 1 bis 7 µm eingeatmet werden. 

Der Modus der vorwiegend am Lungenparenchym angreifenden Staubwirkung kann im wesentlichen als toxisch (Byssinose), allergisch (Farmerlunge) oder als reaktionslose Speicherung ("Haarspray-Lunge") umschrieben werden. 

Die Einteilung der Pneumokoniosen durch organische Stäube erfolgt in organische Koniosen durch Materialien pflanzlichen Ursprungs und solchen tierischen Ursprungs. 

 

3.1 Koniosen vorwiegend durch sensibilisierende Staubwirkung 

(1) Im wesentlichen handelt es sich um die Farmerlunge. Die sich vorwiegend am Lungenparenchym abspielende Wirkung dieser organischen Stäube kann im wesentlichen bei derFarmer-(Drescher-)Lunge als allergischbezeichnet werden. Sie wird durch Sporenbestandteile von bestimmten Bakterien (thermophile Aktinomyceten, vor allem Saccharopolyspore rectivirgula, Thermoactinomycis vulgaris) und Aspergillen in schimmeligem Heu, seltener Stroh und Getreide, hervorgerufen (Baur, Zbl Arbeitsmed. 46 [19961 438, 439). 

Eine genaue Anamnese gibt wichtige Hinweise auf die Ursache. Zu diagnostizieren ist die Farmerlunge nur unter Berücksichtigung von Klinik, Anamnese, Thoraxröntgen, Lungenfunktion und Nachweis präzipitierender Antikörper (vgl. Ebner, Beitrag zur Kenntnis der"Farmerlunge", Wiener klinische Wochenschrift 93 (23), 729-733 (1981). 

(2) Vogelhalterlunge (syn. Taubenzüchter - Hühnerzüchterlunge) 

Sie ist eine Erkrankung des Respirationstraktes als Folge des bei der Vogelhaltung entstehenden Staubes, insbesondere in den Berufen der Tierzüchter. Als Antigene gelten Sekretezur Fettung des Flaumkleides und Proteinbestandteile in Haut und Exkrementen. (3) Bagassose (Zuckerrohrstroh-Lunge) 

Als Bagasse bezeichnet man den getrockneten, meist zu Ballen oder Platten gepreßten Rückstand von Zuckerrohrfasern, aus welchen der Zuckersaft mit Wasser ausgespült worden ist. Dieser pflanzliche Rohstoff findet Verwendung als Heizmaterial, in der Papier- und Holzindustrie, ferne für die Herstellung von Dünger und Futtermitteln. 

(4) Pilzarbeiterlunge 

Die Erkrankung befällt Personen, welche sich der Kultiva-tion von Speisepilzen (Austern, Saitlinge, Shii-Take-Pilze) widmen und die Pilzkeimlinge unter Staubentwicklung in den pasteurisierten Kompost einmischen. Dieser hat während der mehrtägigen Erhitzung einen selektiv günstigen Nährboden für thermotolerante und thermophile Mikroorganismen abgegeben. 

(5) Suberose (Korkstaublunge) 

Mitarbeiter der Herstellungs- und Bearbeitungsbetriebe von Kork sind der Gefahr dieser Erkrankungen des Respirationstraktes vermehrt ausgesetzt. 

(6) Staublungen durch die Holzverarbeitung (Holzstaublungen) 

Holzstaub ohne Verunreinigung ist nach den bisherigen Erfahrungen für die Lungen nicht pathogen. Bekannt wurden aber Erkrankungen des Respirationstraktes, die wahrscheinlich durch Antigene von Mikroorganismen hervorgerufen werden, die in den bei der Holzverarbeitung entstehenden Stäuben enthalten sind. 

(7) Käsewascherkrankheit (Käsearbeiterlunge) Personen, die in einem feuchten und kühlen Lagerkeller 

Käselaibe von Schimmelbefall mit Salzwasser reinigen, erkranken an dieser Alveolitis. Meistens handelt es sich um eine milde und reversible Form. Das auslösende, inhalativ aufgenommene Antigen stammt wahrscheinlich von Penicillium casei. 

(8) Malzarbeiterlunge 

Malzarbeiter, die beim Umschaufeln schimmeliger Gerste in schlecht belüfteten Räumen Sporen von Aspergillus fumigatus und Mucor mucedo einatmen, bieten das Krankheitsbild der allergischen Alveolitis. 

(9) Staublunge durch Luftbefeuchter ("Befeuchterfieber") Im Befeuchterwasser wachsende Schimmelpilze, Bakterien und Algen sind die Ursache für eine verzögerte Allergiereaktion. Beschäftigte in Büroräumen mit Klimaanlagen sind betroffen, wenn die Luftbefeuchter nicht regelmäßig gepflegt werden. 

(10) Getreidestaublunge "Kornkäferlunge" 

Ursache dieser exogen-allergischen Alveolitis sind die vom Kornkäfer produzierten Antigene. Die Erkrankung geht mit den entsprechenden klinischen, röntgenologischen und immunologischen Symptomen einher. 

(11) Staublungen durch Schnupfen organischer Partikel Die Hormon-Schnupferlunge ist zu nennen. Sie wurde bei Patienten beobachtet, die zur Behandlung ihres Diabetes insipidus Schnupfpulver mit Extrakten aus Hypophysenhinterlappen angewendet hatten. 

 

3.2  Koniosen vorwiegend durch toxische Staubwirkung Hierzu gehört u. a. die Byssinose 

 

3.3 Koniosen vorwiegend durch reaktionslose Staubeinlagerung (Thesaurosen) 

Die Haarspray-Lunge und Anthrakose sind zu erwähnen, die indes nicht allgemein in den Kreis der exogen-allergisehen Alveolitis eingestuft werden.

3.4 Seltene, möglicherweise berufsbedingte exogen-allergische Alveolitiden 
(nach Fruhmann, ASP 1988, 109, 133 und Baur, Zbl. Arbeitsmed. 1996, 438, 440) 

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4 Krankheitsbild, Untersuchungsbefunde, diagnostische Kriterien (nach Baur, Zbl. Arbeitsmed. 46 [1996] 438, 440) 
 
  • Exposition gegenüber ursächlichen Antigenen (s. Anm. 3)
  • Akutes Krankheitsbild 3-8 Stunden nach Exposition (Kombination systemischer Krankheitssymptome wie Schüttelfrost, Fieber und Gliederschmerzen mit Atemnot und Husten) 
  • fein- und mittelblasige Rasselgeräusche über basalen Lungenabschnitten
  • Lungenfunktion: Restriktion, TLCO-Verminderung, (Belastungs-) H-Hypoxämie
  • Serologie: Antigen-spezifische IgG-Antikörper
  • Röntgenthorax: fleckförmige, retikulonoduläre Verschattungen
  • Bronchoalveoläre Lavage: CD8+-Lymphozytose
  • Akute pulmonale und systemische Reaktion im Antigenprovokationstest
  • Lungenbiopsie: lymphohistiozytäre Infiltration, Epitheloidzellgranulome, Fibrose

 
Akute, subakute Form: 
BG-Vorsorgemaß-  nahmen nach § 3 BeKV; Anerkennung als BK "dem Grunde nach" 
Rezidivierende, pneumonische (akute) Form oder grippeähnliche (subakute) Form. 
Symptomatik mit unterschiedlich starken Allgemeinbeschwerden 4-6 Stunden nach Antigenkontakt. 
Röntgenologischer Befund: passager feinfleckig-miliar,kleinflächig
Daraus kann sich entwickeln
Chronische Form: 
BK mit MdE
Lungenfibrose 
Röntgenologischer Befund: 
unregelmäßig streifig, netzig Lungenfunktion: 
Diffusionsstörung, restriktive Ventilationsstörung 
in ca. 80 % Nachweis von Antikörpern im Serum
Komplikationen  (obstruktive) Bronchiolitis, respiratorische Insuffizienz, Cor pulmonale
Abgrenzung der exogen-allergischen Alveolitis vom exogen-allergischen Asthma bronchiale s. M 4302 Anm. 5.
 


Wir haben das Merkblatt für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen. 
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten.
Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.


© E.Münzberger 

Letzte Überarbeitung: 1.3.1999