Merkblatt zur BK Nr. 4201: Exogen-allergische Alveolitis
Die Farmerlunge tritt bevorzugt in regenreichen Gebieten (Alpenrand, Küstengebiete) während der Spätherbst-, Winter- und Frühjahrsmonate auf. Gefährdet sind vor allem Personen, die bei landwirtschaftlichen Arbeiten den Staub von verschimmelten Futter- und Einstreumitteln (Heu, Stroh u. a.) einatmen. Der Staub, der sich bei der Geflügelhaltung oder Weiterverarbeitung der Federn entwickelt, kann eine Vogelhalter-Lunge hervorrufen. Die Befeuchter-Lunge wird vorwiegend in Druckereibetrieben, vereinzelt auch in vollklimatisierten Arbeitsräumen beobachtet.I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Seltene berufliche Gefahrenquellen entstehen u.a. durch:
- Malzgewinnung während älterer Brauereiverfahren (Malzarbeiterlunge)
- Herstellung und Lagerhaltung von Käse
- Schälarbeiten an Holzstämmen und Kontakt zu Sägemehl
- Schleifen von Perlmutt
- Verwendung von Isocyanaten zur Herstellung von Polyurethanen, Lacken und Klebstoffen
- Einsatz von Phthalsäure- und Trimellith-Anhydrid für die Produktion von Epoxidharzen und als Weichmacher
- Lagerung von Obst
- Rösten von Kaffee
- Verarbeiten getrockneter Tabakblätter.
Nach Einatmung der unterschiedlichen Antigene entwickelt sich bei entsprechender
Disposition im Alveolarbereich ein allergisches Geschehen, wahrscheinlich
überwiegend nach Typ III der Immunologie-Klassifikation. Letztlich
liegt eine Entzündung durch Freisetzung intrazellulärer Mediator-Substanzen
vor, die von Immunkomplexen oder direkt von den durch Antigene sensibilisierten
T-Suppressor-Lymphozyten stammen. Die Immunkomplexe entstehen durch Reaktion
der nach früheren Kontakten im Serum zirkulierenden IgG-Antikörper
mit den erneut inhalierten Antigenen in der Lunge. Auch kann eine Aktivierung
des Komplementsystems auf dem alternativen Weg unter Komplementverbrauch
mit verzögerter Reizantwort nach Art des Arthus-Phänomens zustande
kommen.
Es treten Atemnot, Husten ohne wesentlichen Auswurf, Engegefühl im Brustkorb, Abgeschlagenheit und klassischerweise akut Fieber mit Frösteln und Gliederschmerzen auf. Auskultatorisch finden sich basal und in den Mittelfeldern ohrnahe fein- bis mittelblasige Rasselgeräusche.
Funktionell handelt es sich zunächst um eine restriktive Ventilationsstörung und um eine pulmonale Diffusionsstörung. In der Folge stellen sich auch Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme ein. Die einzelnen Krankheitsschübe können folgenlos ausheilen oder zu fortschreitender Lungenfibrose führen.
Röntgenologisch sieht man im akuten Stadium Zeichen eines interstitiellen und alveolären Ödems, nicht selten auch feinere und gröbere, zur Konfluenz neigende Fleckschatten, meist Hilusnah und in den Unterfeldern. Bisweilen treten erst Tage nach der Exposition punktförmige Verschattungen auf, deren Streuung so dicht sein kann, daß sie dem bloßen Auge als milchig-glasige Trübungszonen erscheinen. Die Fibrose des chronischen Stadiums stellt sich durch streifige, retikuläre, später auch zystische Strukturen mit zirrhotischen und emphysematösen Veränderungen dar.
Funktionell handelt es sich um eine restriktive Ventilationsstörung (Verminderung der Vitalkapazität) und pulmonale Diffusionsstörung (Verminderung des CO-Transfer-Faktors, Abfall des Sauerstoffpartialdrucks im arteriellen Blut nach Ergometer-Belastung). Eine Bronchialobstruktion gehört primär nicht zum Krankheitsbild, sie kann sich aber schleichend früher oder später einstellen, in aller Regel erst nach Durchlaufen rezidivierender, akuter Krankheitsschübe.
Unter den Laborbefunden tritt häufig eine Vermehrung der Gamma-Globuline im Serum hervor. Mit immunologischen Untersuchungen (Doppel-Immundiffusion nach Ouchterlony, ELISA, Radioimmunoassays, Immunoblotverfahren usw.) können häufig im Serum IgG-Antikörper (z. B. gegen thermophile Actinomyceten, Aspergillen und Schimmelpilze, Extrakt aus arbeitsplatzbezogenem, verschimmeltem Heu) festgestellt werden. Diese sind jedoch für die Diagnose nur bedingt aussagekräftig, da einerseits ein derartiger Nachweis auch an über 20 Prozent von gesunden exponierten Personen gelingt und andererseits eine exogen-allergische Alveolitis auch durch direkte Antigen-Wirkung ohne Bildung von IgG-Antikörpern entstehen kann. In der broncho-alveolaren Lavage findet sich in der Regel eine Vermehrung der Lymphozyten mit einem erhöhten Anteil der T-Suppressorzellen. In der akuten Phase herrscht typischerweise eine Granulozytose vor.
Das histologische Bild ist gekennzeichnet durch eine diffuse, oft peribroncholär betonte, interstitiell-entzündliche Rundzellinfiltration mit Granulomen aus epitheloiden sowie Fremdkörper-Riesenzellen mit Lymphozytensaum. Die Spätphase mit der chronischen interstitiellen Lungenfibrose ist weder makroskopisch noch mikroskopisch krankheitsspezifisch und kann von anderen Formen der fortgeschrittenen Lungenfibrose nicht unterschieden werden.
Differentialdiagnostisch müssen vor allem eine Sarkoidose, die
sogenannte idiopathische, fibrosierende Alveolitis (z. B. Haman-Rich-Syndrom)
und Lungenfibrosen anderer Genese, abgegrenzt werden. Die Sakoidose neigt
in ihren Frühstadien abweichend von der exogen-allergischen Alveolitis
zur deutlichen Vergrößerung der Hiluslymphknoten und zu einem
bilateralen, spiegelbildlichen Röntgenbefund. Sie bewirkt eine Vermehrung
der T-Helfer-Lymphozyten im Alveolarraum, die in der Spülflüssigkeit
nachgewiesen werden kann. Der Krankheitsprozeß einer idiopathischen,
fibrosierenden Alveolitis ist gekennzeichnet durch eine anhaltende Vermehrung
der Granulozyten in der bronchoalveolären Lavage.
Anmerkungen
Die Anmerkungen (in grüner Schrift) sind eine Abschrift aus:
G. Mertens und E. Perlebach: Die Berufskrankheitenverordnung (BeKV),
Ergänzbare Sammlung der Vorschriften, Merkblätter und Materialien
Berlin: Erich Schmidt Verlag 1977
1 | Erkrankung
durch die VO der Änderung der 7. BeKV v. 8. 12.1976 eingeführt
als Farmer-(Drescher-)Lunge; die derzeit geltende Fassung wurde durch die
VO zur Änderung der BEKV v. 22. 3. 1988 geändert. Zur Rückwirkung
s. Art. 3 Abs. 2 (C 20 S. 6)
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2 | BK Nr. 42 01
gehört zur Untergruppe 42 "Erkrankungen durch organische Stäube".
Unter organischen Stäuben sind sowohl atembare Schwebstoffe pflanzlicher oder tierischer Herkunft, als auch Stäube organisch-chemischer Verbindungen zu verstehen, z.B. Isocyanate, Phthalsäure-, Trimellith-Anhydrid (vgl. Merkblatt zu I).
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3 | Erkrankungen
In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Pneumokoniosen beschrieben worden, die durch die Inhalation organischer Stäube am Arbeitsplatz verursacht werden können. Voraussetzung ist, daß die Partikel in hohen Konzentrationen und lungengängiger Größe von 1 bis 7 µm eingeatmet werden. Der Modus der vorwiegend am Lungenparenchym angreifenden Staubwirkung kann im wesentlichen als toxisch (Byssinose), allergisch (Farmerlunge) oder als reaktionslose Speicherung ("Haarspray-Lunge") umschrieben werden. Die Einteilung der Pneumokoniosen durch organische Stäube erfolgt in organische Koniosen durch Materialien pflanzlichen Ursprungs und solchen tierischen Ursprungs.
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3.1 | Koniosen vorwiegend
durch sensibilisierende Staubwirkung
(1) Im wesentlichen handelt es sich um die Farmerlunge. Die sich vorwiegend am Lungenparenchym abspielende Wirkung dieser organischen Stäube kann im wesentlichen bei derFarmer-(Drescher-)Lunge als allergischbezeichnet werden. Sie wird durch Sporenbestandteile von bestimmten Bakterien (thermophile Aktinomyceten, vor allem Saccharopolyspore rectivirgula, Thermoactinomycis vulgaris) und Aspergillen in schimmeligem Heu, seltener Stroh und Getreide, hervorgerufen (Baur, Zbl Arbeitsmed. 46 [19961 438, 439). Eine genaue Anamnese gibt wichtige Hinweise auf die Ursache. Zu diagnostizieren ist die Farmerlunge nur unter Berücksichtigung von Klinik, Anamnese, Thoraxröntgen, Lungenfunktion und Nachweis präzipitierender Antikörper (vgl. Ebner, Beitrag zur Kenntnis der"Farmerlunge", Wiener klinische Wochenschrift 93 (23), 729-733 (1981). (2) Vogelhalterlunge (syn. Taubenzüchter - Hühnerzüchterlunge) Sie ist eine Erkrankung des Respirationstraktes als Folge des bei der Vogelhaltung entstehenden Staubes, insbesondere in den Berufen der Tierzüchter. Als Antigene gelten Sekretezur Fettung des Flaumkleides und Proteinbestandteile in Haut und Exkrementen. (3) Bagassose (Zuckerrohrstroh-Lunge) Als Bagasse bezeichnet man den getrockneten, meist zu Ballen oder Platten gepreßten Rückstand von Zuckerrohrfasern, aus welchen der Zuckersaft mit Wasser ausgespült worden ist. Dieser pflanzliche Rohstoff findet Verwendung als Heizmaterial, in der Papier- und Holzindustrie, ferne für die Herstellung von Dünger und Futtermitteln. (4) Pilzarbeiterlunge Die Erkrankung befällt Personen, welche sich der Kultiva-tion von Speisepilzen (Austern, Saitlinge, Shii-Take-Pilze) widmen und die Pilzkeimlinge unter Staubentwicklung in den pasteurisierten Kompost einmischen. Dieser hat während der mehrtägigen Erhitzung einen selektiv günstigen Nährboden für thermotolerante und thermophile Mikroorganismen abgegeben. (5) Suberose (Korkstaublunge) Mitarbeiter der Herstellungs- und Bearbeitungsbetriebe von Kork sind der Gefahr dieser Erkrankungen des Respirationstraktes vermehrt ausgesetzt. (6) Staublungen durch die Holzverarbeitung (Holzstaublungen) Holzstaub ohne Verunreinigung ist nach den bisherigen Erfahrungen für die Lungen nicht pathogen. Bekannt wurden aber Erkrankungen des Respirationstraktes, die wahrscheinlich durch Antigene von Mikroorganismen hervorgerufen werden, die in den bei der Holzverarbeitung entstehenden Stäuben enthalten sind. (7) Käsewascherkrankheit (Käsearbeiterlunge) Personen, die in einem feuchten und kühlen Lagerkeller Käselaibe von Schimmelbefall mit Salzwasser reinigen, erkranken an dieser Alveolitis. Meistens handelt es sich um eine milde und reversible Form. Das auslösende, inhalativ aufgenommene Antigen stammt wahrscheinlich von Penicillium casei. (8) Malzarbeiterlunge Malzarbeiter, die beim Umschaufeln schimmeliger Gerste in schlecht belüfteten Räumen Sporen von Aspergillus fumigatus und Mucor mucedo einatmen, bieten das Krankheitsbild der allergischen Alveolitis. (9) Staublunge durch Luftbefeuchter ("Befeuchterfieber") Im Befeuchterwasser wachsende Schimmelpilze, Bakterien und Algen sind die Ursache für eine verzögerte Allergiereaktion. Beschäftigte in Büroräumen mit Klimaanlagen sind betroffen, wenn die Luftbefeuchter nicht regelmäßig gepflegt werden. (10) Getreidestaublunge "Kornkäferlunge" Ursache dieser exogen-allergischen Alveolitis sind die vom Kornkäfer produzierten Antigene. Die Erkrankung geht mit den entsprechenden klinischen, röntgenologischen und immunologischen Symptomen einher. (11) Staublungen durch Schnupfen organischer Partikel Die Hormon-Schnupferlunge ist zu nennen. Sie wurde bei Patienten beobachtet, die zur Behandlung ihres Diabetes insipidus Schnupfpulver mit Extrakten aus Hypophysenhinterlappen angewendet hatten.
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3.2 | Koniosen vorwiegend
durch toxische Staubwirkung Hierzu gehört u. a. die Byssinose
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3.3 | Koniosen vorwiegend
durch reaktionslose Staubeinlagerung (Thesaurosen)
Die Haarspray-Lunge und Anthrakose sind zu erwähnen, die indes nicht allgemein in den Kreis der exogen-allergisehen Alveolitis eingestuft werden. |
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3.4 | Seltene,
möglicherweise berufsbedingte exogen-allergische Alveolitiden
(nach Fruhmann, ASP 1988, 109, 133 und Baur, Zbl. Arbeitsmed. 1996, 438, 440)
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4 | Krankheitsbild,
Untersuchungsbefunde, diagnostische Kriterien (nach Baur, Zbl. Arbeitsmed.
46 [1996] 438, 440)
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Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten. Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut. |