I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Man unterscheidet je nach Höhe der einwirkenden Temperaturen die Schwelung (450 bis
700° C) und die Verkokung (über 700° C). Die Entgasung der Kohle beginnt bereits vor
der Schwelung. Bei 100 bis 350° C tritt eine "Vorentgasung" ein. Es entweichen
Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methan und Stickoxide. Bei höheren
Temperaturen (bis 500° C) vollzieht sich die "Hauptentgasung". Hier beginnt die
thermische Zersetzung (Pyrolyse), bei der u. a. eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffen
entsteht, darunter bei höheren Temperaturen auch polyzyklische aromatische Verbindungen
(PAH = polycyclic aromatic hydrocarbons). In den heute überwiegend eingesetzten
Horizontalkammeröfen werden Koksendtemperaturen von 1OOO° C und mehr erreicht.
Die Gase am Ofenblock stammen aus allen Temperaturbereichen, die bis zu den Höchststufen
der Kohleerhitzung durchlaufen werden.
Das bei der Kohleverkokung erzeugte "Rohgas" wird in einem geschlossenen System
auf Umgebungstemperatur abgekühlt, gereinigt und als "Stadtgas" (Brenngas) für
Verbrennungszwecke abgegeben.
Unter dem Ausdruck "Kokereirohgase" im Sinne dieser Berufskrankheit werden
sowohl das so bezeichnete technische Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die
beim Betreiben der Öfen, insbesondere beim Beschikken und Entladen der Kammern, aber auch
aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden.
Durch Leckagen aus den Öfen austretende Gase kühlen in der Außenluft rasch ab. Dabei
kondensieren die PAH-Gemische. Sie lagern sich weitgehend anderen Schwebstoffpartikeln an.
Gefährdungen ergeben sich für das am Ofenblock und in seiner unmittelbaren Umgebung
eingesetzte Personal. Insbesondere gehören hierzu Tätigkeiten als
- Füllwagenfahrer,
- Einfeger (Decken-mann),
- Steigrohrreiniger,
- Teerschieber,
- Druckmaschinenfahrer,
- Kokskuchenführungswagenfahrer bzw. Koksüberleitungsmaschinist,
- Löschwagenfahrer,
- Türmann,
- Rampenmann.
Mit Gefährdungen ist auch bei der Wartung von Rohgasleitungen zu rechnen, wenn solche
Arbeiten regelmäßig durchzuführen sind und die Möglichkeit des Freiwerdens von Gasen
besteht.
II. Pathophysiologie
Die Kokereirohgase enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen. Von besonderer
Bedeutung für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind PAHGemische.
Entsprechend ihrem aerodynamischen Durchmesser werden solche Staubarten und Aerosole in
verschiedenen Abschnitten der Atemwege deponiert. Es kann zu Kumulationen kommen und damit
an solchen Stellen zu länger anhaltenden, auch über die Zeit der Exposition
hinausreichenden Einwirkungen.
Die tracheobronchialen und lungengängigen Fraktionen können als wesentliche Ursache für
Karzinome der tieferen Atemwege und der Lungen angesehen werden. Gröbere Partikel
stellen Gefährdungen für die oberen Atemwege dar.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Die Atemwegstumoren durch Kokereirohgase unterscheiden sich in Verlauf und Symptomatik
nicht von solchen anderer Verursachung. Dies trifft auch für die histologische
Differenzierung zu. Die diagnostische Abklärung hat sich zu orientieren an den
allgemeinen Regeln zur Erkennung von Atemwegstumoren.
IV. Weitere Hinweise
Die Konzentration und Zusammensetzung von Kokereirohgasen an den einzelnen
Arbeitsplätzen von Kokereien sind Schwankungen unterworfen. Sie sind abhängig von der
Art der Kohle, der Garungszeit, von Witterungseinflüssen sowie von baulichen Bedingungen.
Am ungünstigsten sind die Verhältnisse im Sommer und bei Windstille. Auch Überdachungen
wirken sich bei ungenügender Belüftung ungünstig aus.
Wegen des langen Intervalls zwischen Beginn der beruflichen Einwirkung und der
Tumormanifestation sollten auch ältere, heute nicht mehr gebräuchliche Verfahren der
Kohleverkokung Beachtung finden, zumal das Gefährdungspotential dort meist höher
einzuschätzen ist als bei den heute gebräuchlichen, in Blöcken zusammengefaßten
Horizontalkammeröfen.
Die Tumoren treten im allgemeinen nach mehrjähriger (mindestens 2 Jahre) Exposition
gegenüber Kokereirohgasen auf. Bei kürzerer Dauer als 2 Jahre sind an die Intensität
der Exposition besonders hohe Anforderungen zu stellen.
Bei der Beurteilung des Risikos sind ggf. langjährige inhalative Rauchgewohnheiten als
konkurrierender außerberuflicher Faktor angemessen zu berücksichtigen
(Synkanzerogenese).
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