Universität Rostock
- Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin_
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BK Nr 4109:
Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel
oder seine Verbindungen
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Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen
Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. des BMA v. 16. August 1989, BABI. 11/1989)
Nickel (Ni) und seine Verbindungen werden in zunehmendem Maße
in allen hochindustriellen Ländern verwendet. Die jährliche Weltproduktion
beträgt z. Z. etwa 800 000 t.
Reines Nickel ist ein silberglänzendes Metall, das sich, ähnlich
wie Eisen, polieren, schmieden, schweißen, zu Blech walzen und zu
Draht ziehen läßt. Es ist in massiver Form sehr widerstandsfähig
gegen Luft, Wasser, Alkalien und viele organische Stoffe, dagegen wird
es von anorganischen Säuren wie Salz-, Schwefel- und Salpetersäure
besonders bei höheren Temperaturen angegriffen.
Nickelverbindungen, wie z. B. Nickelsulfid (NiS), sulfidische Verbindungen,
wie sie bei der Raffination nickelhaltiger Erze auftreten (Ni3S2) und Nickeloxid
(Ni0) gelten als in Wasser praktisch unlöslich, werden aber von oxidierenden
mineralischen Säuren gelöst. Dagegen sind Nickelsulfat (NiS04)
und Nickelchlorid (NiCl2) in Wasser leicht löslich.
Das organische Nickeltetracarbonyl (Ni(o)4) ist eine farblose Flüssigkeit,
die als Zwischenprodukt bei der Nickelraffination im sog. MOND-Verfahren
auftritt. Es ist in Wasser nur gering löslich und aus arbeitsmedizinischer
Sicht vor allem wegen seiner akuten toxischen und chemisch-irritativen
Wirkung bedeutsam.
I. Vorkommen und Gefahrenquelle
Der Anteil des Elementes Nickel an der Erdkruste wird auf' 0,015 Prozent
geschätzt. Damit steht es in der Häufigkeitsliste an 24. Stelle
zwischen Chrom und Strontium. In der Erdkruste ist Nickel fast immer an
Schwefel, Kieselsäure, Arsen oder Antimon gebunden. Wichtige Nickelmineralien
sind z. B. der Garnierit, der Pentlandit, der Laterit, das Nikkelit sowie
der Cobalt-Antimon- und Weißnickelkies. Für die technische Nickelgewinnung
sind vor allem der Garnierit und einige Magnetkiese wie der Pentlandit
von Bedeutung.
Insgesamt finden heute über 3 000 verschiedene Nickellegierungen
industriell und im privaten Bereich Verwendung. Der größte Teil
der Nickel-Produktion (ca. 60 bis 70 Prozent) wird zur Stahlveredelung
und zur Herstellung sogenannter Nickelbasislegierungen benötigt.
Entsprechend den vielfältigen industriellen Anwendungen besteht
ein Risiko insbesondere bei folgenden Tätigkeiten und Arbeitsprozessen:
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Aufbereitung und Verarbeitung von Nickelerzen zu Nickel oder Nickelverbindungen
(auch Arbeiten an nachgeschalteten Staubfiltern) im Bereich der Raffination
-
Elektrolytische Abscheidung von Nickel unter Verwendung unlöslicher
Anoden
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Herstellen und Verarbeiten von Nickel und Nickelverbindungen in Pulverform
-
Herstellen nickelhaltiger AkkumuIatoren und Magnete
-
Lichtbogenschweißen mit nickelhaltigen Zusatzwerkstoff en in engen
Räumen oder ohne örtliche Absaugung in ungenügend belüfteten
Bereichen
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Plasmaschneiden von nickelhaltigen Werkstoffen
-
Thermisches Spritzen (Flamm-, Lichtbogen-, Plasmaspritzen) mit nickelhaltigen
Spritzzusätzen
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Schleifen von Nickel und Legierungen mit erheblichem Nickelgehalt
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Elektrogalvanisation (elektrolytisches Vernickeln von z. B. Eisenoberflächen)
-
Fabrikation von nickelhaltigen Spezialstählen (z. B. Ferronickel)
-
Plattieren (mechanisches Vernickeln)
-
Verwendung von feinverteiltem Nickel als großtechnischer Katalysator
in der organischen Chemie (z. B. bei der Fetthärtung).
Organische Nickelverbindungen
Eine Exposition durch inhalative oder teilweise transkutane Aufnahme
von Nickeltetracarbonyl kann bei der Herstellung von Nickel nach dem MOND-Verfahren
vorliegen.
Grundsätzlich muß mit dem Auftreten von Ni(Co)4 immer dann
gerechnet werden, wenn Kohlenmonoxid mit einer reaktiven Form von Nickel
in Kontakt kommt.
II. Pathophysiologie
Die Aufnahme von Nickel und seinen Verbindungen kann durch Einatmen oder
Verschlucken und im Falle des Nickeltetracarbonyls auch durch die Haut
erfolgen.
Nickel und seine anorganischen Verbindungen werden nach peroraler Aufnahme,
ähnlich wie die Schwermetalle, nur in geringem Umfang über die
Magen-Darmschleimhaut resorbiert (ein bis fünf Prozent). Über
die transkutane Aufnahme beim Menschen liegen bisher keine zuverlässigen
Studien vor.
Auch die Aufnahme und Resorptionsrate nach inhalativer Exposition sind
bisher nicht eindeutig geklärt.
Im menschlichen Blut ist Nickel hauptsächlich an Albumin und L-Histidin
gebunden. Peroral appliziertes Nickel scheint sich, soweit es resorbiert
wird, im wesentlichen gleichmäßig über den gesamten Organismus
zu verteilen. Nach Belastungen mit löslichen Nickelsalzen konnten
die höchsten Konzentrationen in der Niere nachgewiesen werden. In
jüngster Zeit hat sich herausgestellt, daß es z. B. bei Nickelraffineriearbeitern
zu einer erheblichen Kumulation in der Lunge kommen kann.
Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß Nickelresorption,
-stoffwechsel und -wirkung von Art und Aufnahme der applizierten Verbindung
abhängen.
Intestinal resorbierte anorganische Nickelverbindungen werden beim
Menschen vor allem über die Faeces und in geringerem Umfang über
den Urin ausgeschieden. Hingegen ist nach berufsbedingter, meist inhalativer
Belastung überwiegend eine renale Elimination beschrieben. Nach bisherigen
Erkenntnissen wird das Ausscheidungsmaximum im Urin nach peroraler Zufuhr
löslicher anorganischer Nickelverbindungen im Laufe der ersten vier
Stunden erreicht' Die Halbwertszeit der renalen Elimination wurde zwischen
17 und 53 Stunden bestimmt.
Kanzerogene Wirkung
Epidemiologische Studien weisen derzeit insbesondere für den Bereich
der Nickelraffination eine erhöhte Prävalenz von Erkrankungen
im Bereich des Bronchialsystems, der Nasenhaupt- und der Nasennebenhöhlen
sowie des Kehlkopfes auf. Diese Ergebnisse wurden sowohl in Nickelräffinerien,
die das sog. Carbonyl-Verfahren (MOND-Prozeß) praktizieren, als auch
in solchen, die eine elektrolytische Aufarbeitung vornahrnen, beobachtet.
Unter Berücksichtigung der Expositionsbedingungen in der Raffination
sowie der bisher vorliegenden Tierversuche kann davon ausgegangen werden,
daß vor allem im Wasser schwer lösliche sulfidische (Ni2S2)
und oxidische Nickelerze sowie metallisches Nickel geeignet sind, karzinogene
Wirkungen hervorzurufen. Über den Pathomechanismus der Karzinogengonese
sind derzeit keine zuverlässigen Aussagen möglich. Epidemiologische
Studien aus der nickelbe- und verarbeitenden Industrie erbrachten bisher
keine eindeutigen Anhaltspunkte für das vermehrte Vorkommen von Krebserkrankungen.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Für die Zeit zwischen Beginn der Nickel-Exposition und klinischer
Manifestation der Krebserkrankungen im Bereich des Bronchialsystems bzw.
der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen werden in der Literatur teilweise
divergierende Zeiträume genannt. Unter Berücksichtigung der relevanten
Daten ist davon auszugehen, daß sie durchschnittlich 20 bis 30 Jahre
beträgt.
Grundsätzlich sind die bösartigen Erkrankungen durch Nickel
oder seine Verbindungen weder bezüglich ihrer klinischen Symptomatologie
noch pathologisch-anatomisch von Karzinomen anderer Genese zu unterscheiden.
IV. Weitere Hinweise
Wichtig ist eine sorgfältige Erhebung der Arbeitsanamnese im Hinblick
auf eine relevante Exposition. Luftanalysen und das Biological Monitoring
sind wünschenswert.
Die Nickel-Bestimmung im Lungengewebe kann vor allem nach Exposition
gegenüber schwerlöslichen Nickelverbindungen wichtige Zusatzinformationen
über eine frühere Exposition geben. Hierbei ist die Kinetik des
Nickelstoffwechsels zu beachten. Bei der Beurteilung des Risikos sind ggf.
langjährige inhalative Rauchgewohnheiten als konkurrierender außerberuflicher
Faktor angemessen zu berücksichtigen (Synkarzinogenese).
Nickelinduzierte Hauterkrankungen in Form eines allergischen Kontaktekzems
("Nickelkrätze") fallen unter die Nr. 51 01, durch Nickel oder seine
Verbindungen verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen unter die Nr.
43 01 bzw. 43 02 Anlage 1 BekV.
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Vainio, H. et al.: Data on the Carcinogenicity of Chemicals in the
IARC Monographs Programme. Carcinogenesis 6 (1985),1953
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© E.Münzberger
Letzte Überarbeitung: 5.3.1999