Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin
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Merkblatt zur BK Nr. 2402: Erkrankungen durch ionisierende
Strahlen
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Erkrankungen durch ionisierende Strahlen
Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. d. BMA v. 13. Mai 1991, BArbBl. 7-8/72)
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Röntgenstrahlen sind in der Antikathode
durch Abbremsung der Elektronen erzeugte energiereiche, elektromagnetische
Wellen. Von Gegenständen, die durch Röntgenstrahlen getroffen
werden, gehen Streustrahlen aus.
Röntgenstrahlen können eine Gefahrenquelle darstellen für
Personen, die der direkten oder indirekten Einwirkung, z. B. im Bereich
der Medizin, bei der Materialprüfung, in der Röntgenapparate-
oder -röhrenindustrie, ausgesetzt sind.
Radioaktive Stoffe sind Elemente, d. h. Radionuklide,
die von selbst zerfallen und dabei spontan Strahlen aussenden, meist Alpha-,
Beta- oder Gammastrahlen. Man unterscheidet natürliche und künstliche
radioaktive Stoffe. Letztere werden vorwiegend in Reaktoren als Spaltprodukte
oder durch Neutronenbeschuß gewonnen. Radioaktive Stoffe kommen in
fester oder flüssiger Form oder als Gase vor; sie werden als offene
oder umschlossene Präparate verwendet. Radioaktive Stoffe können
in entsprechenden Dosen eine Gefahrenquelle für Personen sein, die
bei Gewinnung, Verarbeitung, Verwendung oder beim Transport mit diesen
Stoffen oder den von ihnen ausgesandten Strahlen in Berührung kommen,
z. B. bei der medizinischen Diagnostik oder Therapie, bei wissenschaftlichen
Untersuchungen, bei der Werkstoffprüfung, bei bestimmten Meßverfahren,
bei der industriellen Verarbeitung und Anwendung von Radionukliden sowie
bei Tätigkeiten im Uranbergbau und in kerntechnischen Anlagen.
Unter anderen ionisierenden Strahlen sind solche atomaren
Teilchen zu verstehen wie Elektronen, Protonen, Deuteronen und andere beschleunigte
Ionen sowie Neutronen, die direkt oder indirekt ionisieren. Diese können
in Atomreaktor- und Teilchenbeschleunigerbetlieben vorkommen.
II. Pathophysiologie
Alle energiereichen ionisierenden Strahlen lösen beim Auftreffen auf
Materie physikalisch-chemische Reaktionen aus, die im lebenden Gewebe zu
Störungen der Zelltätigkeit, zum Zelluntergang und damit zu funktionellen
und morphologischen Veränderungen führen können. Durch die
Körperoberfläche, d. h. von außen einwirkende ionisierende
Strahlen (externe Exposition) haben im Organismus bei identischer Dosis
prinzipiell die gleiche Wirkung wie die Strahlen, die von inkorporierten
(über Atem- und Verdauungswege oder Haut und Schleimhaut) radioaktiven
Stof fen ausgehen (interne Exposition).
Das Ausmaß der biologischen Wirkung ist abhängig von physikalischen
Komponenten, wie
-
absorbierter Strahlenmenge (Dosis),
-
Strahlenart,
-
zeitlicher Verteilung der Dosis (Dosisleistung, ein- oder mehrmalige Bestrahlung
in kürzeren oder längeren Zeitabständen),
-
räumlicher Verteilung der Dosis (Ganzkörperbestrahlung, lokale
Bestrahlung) und von biologischen Faktoren, wie
-
Alter, Geschlecht, Gesundheits- und Ernährungszustand, Temperatur
des exponierten Individuums,
-
Strahlenempfindlichkeit des betroffenen Gewebes.
Bei Inkorporierung spielen die physikalische Halbwertzeit und das Stoffwechselverhalten
des radioaktiven Stoffes eine entscheidende Rolle.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Man unterscheidet nicht-stochastische und stochastische Strahlenwirkungen.
Bei den nicht-stochastischen Wirkungen muß eine Schwellendosis
überschritten werden, damit der Effekt eintritt; bei den stochastischen
Strahlenwirkungen wird keine Schwellendosis angenommen.
A. Akuter Strahlenschaden nach Ganzkörperbestrahlung
Er beruht meistens auf einem Unfall. Im Vordergrund stehen bei Dosen
über 1 Sv zunehmend Schäden der Zeller-
neuerungssysteme für Blut und des Darmepithels. Das Bild der akuten
Strahlenkrankheit aggraviert mit steigender Dosis und ist gekennzeichnet
durch das sogenannte akute Strahlensyndrom. Hierzu gehören u. a. in
der Frühphase Kopfschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Abgeschlagenheit,
Appetitmangel und später insbesondere Infektanfälligkeit sowie
Blutgerinnungsstörungen mit Blutungen in Haut und Schleimhäuten;
auch blutige Durchfälle und Erbrechen können auftreten.
Bei entsprechend hoher Dosis (2 Sv und höher) fällt bereits
in den ersten Stunden bis Tagen nach dem Strahleninsult die Lymphozytenzahl
im zirkulierenden Blut ab; die übrigen Blutelemente (Granulocyten,
Thrombozyten, Erythrocyten) folgen dosisabhängig und entsprechend
ihrer biologischen Lebenszeit in späteren Tagen, da die Zellerneuerung
im Knochenmark geschädigt ist.
B. Akuter lokaler Strahlenschaden nach Teilkörperbestrahlung
Bei Bestrahlung größerer Körperabschnitte können
die Symptome des lokalen Schadens mit den unter A genannten Allgemeinerscheinungen
verbunden sein.
-
Ein akuter Schaden der Haut infolge beruflicher Tätigkeit ist
vorwiegend an den Händen lokalisiert und beginnt mit einem meist juckenden
Erythem, das je nach Dosis in Wochen, Tagen oder Stunden mit wechselnder
Intensität in Erscheinung tritt. Sehr hohe Dosen verursachen Desquamation
und Nekrose (Ulcus).
-
Ein akuter Schaden der Schleimhaut kann etwas früher als der
akute Schaden der Haut auftreten und besteht wie dieser in Erythem, Desquamation
mit Blutungen und ggf. Nekrose.
-
Ein akuter Schaden des Auges äußert sich überwiegend
in einer entzündlichen Veränderung der Bindehaut.
-
Ein akuter Schaden der Keimclrüsen äußert sich in
temporärer oder dauernder Sterilität mit Amenorrhoe bzw. Oligo-Azoospermie.
Die unter Ziff. 1 bis 4 genannten Schäden sind nur bei Einwirkung
höherer Dosen (1 Sv und höher) zu erwarten.
C. Chronischer allgemeiner Strahlenschaden nach Ganzkörperbestrahlung
Er kann sich durch einmalige Einwirkung einer hohen Strahlendosis als
Folge einer akuten Strahlenschädigung wie auch durch wiederholte Einwirkung
kleinerer Dosen entwickeln. Die unter A geschilderten Symptome könnten
bei geringeren Strahlendosen bzw. geringer Dosisleistung fehlen oder in
abgeschwächter Form auftreten, und dennoch werden später Strahleneffekte
hervorgerufen (s. Abschnitt E).
D. Chronischer lokaler Strahlenschaden nach Teilkörperbestrahlung
Akute oder chronische Teilkörperbestrahlungen verursachen Spätschäden
(s. Abschnitt E).
Besondere Beachtung verdient:
-
Bei externer Bestrahlung kommt es immer zu einer Exposition der Haut. Ein
chronischer Schaden der Haut äußert sich nach hohen Strahlendosen
(mehrere Sv und höher) in Atrophie mit pergamentartiger Beschaffenheit
der Haut sowie in Pigmentverschiebung, ungleichmäßiger Pigmentierung,
Trockenheit infolge Störung der Talg- und Schweißdrüsenabsonderung,
Dauerepilation, trockener Abschilferung, Verhornung, Rhagadenbildung und
Teleangiektasie. Außerdem können Wachstumstörungen mit
Längsriffelung und Brüchigkeit der Nägel auftreten. Ekzeme
und schmerzhafte Ulzerationen sowie Warzenbildung und Hautkarzinome sind
möglich.
-
Chronischer Schaden der Atemwege und der Lunge:
U. a. kommt es bei der Förderung von Pechblende-Erz, welches Radium,
dessen Zerfallsprodukte und andere radioaktive Stoffe enthält, durch
Inhalation zur lokalen Exposition der Atemwege. Nach mehrjähriger
Einwirkungszeit können chronische Schäden (z. B. Lungenfibrosen)
und Lungenkrebs (sog. "Schneeberger Lungenkrebs") auftreten. Die Zerfallsprodukte
des Radiums (Radon u. a.), welche vorwiegend über die Atemwege aufgenommen
werden, spielen dabei eine wichtige Rolle.
-
Chronische Schäden an anderen Organen können durch Strahleneinwirkung
inkorporierter radioaktiver Stoffe auftreten. Sie finden sich am häufigsten
bei den sogenannten kritischen Organen, d. h. denjenigen Organen, in denen
radioaktive Stoffe sich bevorzugt ablagern (z. B. Schilddrüsen für
Jod, Knochen für Strontium, Polonium u. a.).
E. Strahlenspätschäden
Strahlenspätschäden können sowohl nach einmaliger Einwirkung
einer hohen Dosis als auch nach langzeitiger oder wiederholter Einwirkung
kleiner Dosen auftreten. Der Strahlenexposition folgt eine längere
symptomfreie Latenzzeit; eine akute Strahlenkrankheit muß dabei nicht
vorausgegangen sein. Neben o. g. Spätschäden der Haut und Atemwege
und neben Katarakten, die nach Bestrahlung der Augen mit höheren Dosen
(>2 SV; vorwiegend bei Neutronen und schweren Teilchen, aber auch bei locker
ionisierender Strahlung) vom hinteren Linsenpol ausgehend beobachtet werden,
sind vor allem Leukämien und andere maligne Tumoren als strahlenbedingte
Spätschäden bedeutsam (s. Anhang 2). Die Eintrittswahrscheinlichkeit
dieser Erkrankungen ist dosisabhängig.
IV. Weitere Hinweise
Um zu beurteilen, ob eine Erkrankung auf eine Strahlenexposition zurückzuführen
ist, sind eine eingehende Arbeitsanamnese unter Berücksichtigung technischer
Einzelheiten am Arbeitsplatz, der Ergebnisse der Personen- und Ortsdosismessungen,
anderer unter II genannter physikalischer und biologischer Faktoren sowie
der für den Arbeitsplatz getroffenen Strahlenschutzmaßnahmen
von entscheidender Bedeutung.
Besonders ist zu prüfen, ob es sich beim Umgang mit radioaktiven
Stoffen um offene oder umschlossene Präparate gehandelt hat. Bei Arbeiten
mit offenen Präparaten ist die Möglichkeit einer Kontamination
oder Inkorporation gegeben. Ggf. ist der Nachweis inkorporierter radioaktiver
Stoffe im Körper und in den Körperausscheidungen in speziell
hierfür eingerichteten Instituten zu führen.
Die Beurteilung der Strahleneinwirkung ist in der Regel schwierig und
sollte daher ggf. in Zusammenarbeit mit einem Strahlenbiologen/-physiker
erfolgen.
Die Anhänge 1 und 2 zum Merkblatt sind zu beachten.
V. Literatur
-
BEIR: The Effects of Exposure to Low Levels of lonizing Radiation.
National Academy Press, Washington, D. C., 1980
-
Boice, J. D. und Fraumeni, J. F.: Radiation Carcinogenesis: Epidemiology
and Biological Significance. Raven Press, New York, 1984
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DeVita, V. T., Hellmann, S. und Rosenberg, S. A.: Principles and
Practice of Oncology. Lippincott, Philadelphia, 1985
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Strahlenschaden in Erwägung gezogen werden muß. In: "Strahlenschutz
in Forschung und Praxis". Band XV, 140-146 Thieme, Stuttgart, 1976
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Annals of the ICRP, Publication 26. Pergamon Press, 1977
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Kleihauer, E.: Hämatologie. Springer, Berlin, Heidelberg, New
York, 1978
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Shimizu, Y., Kato, H., Schull, W. J., Preston, D. L., Fujita, Sh. und
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mortality based on the DS86 and T65DR shielded kerma and organ doses. Life
Span Study Report 1 1, Radiation Effects Research Foundation, Hiroshima,
1987
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Streffer, C.: Untersuchung des Leukämie- und Krebsrisikos bei
beruflich strahlenexponierten Personen. In: "Strahlenschutz in Forschung
und Praxis", Band 30,93-120. Fischer, Stuttgart, New York, 1988
-
UNSCEAR: Sources, Effects and Risks of Ionizing, United Nations
Scientific Commitee on the Effects of Ionizing Radiation. United Nations,
New York, 1977
-
UNSCEAR: Sources, Effects and Risks of Ionizing, United Nations
Scientific Commitee on the Effects of Ionizing Radiation. United Nations,
New York, 1988
-
Wintrobe, M. M., Lee, G. R., Boggs, D. R., Bithell, T. C., Foerster,
J., Athens, J. W. und Lukens, J. N.: Clinical Hematology. Lea &
Febiger, Philadelphia, 1965
Anhang 1 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr.
2402 Anl. 1 BeKV
Erläuterungen von ausgewählten Begriffen und Einheiten
-
Ionisieren bedeutet das Abtrennen von Elektronen aus dem Atomverband,
wobei die ionisierten Atome oder die ionisierte Atome enthaltenden Moleküle
in einen Zustand veränderter chemischer und dadurch auch biologischer
Reaktionsbereitschaft gelangen.
-
Ionisierende Strahlen sind energiereiche -Wellen(Quanten- oder Photonen-)
bzw. Teilchen-(Korpuskular)-strahlen, die beim Durchgang durch Materie
die Atome zu ionisieren vermögen.
-
Direkt ionisierende Strahlen sind alle elektrisch geladenen Korpuskeln,
wie z. B. schnelle Elektronen oder Betastrahlen, Alphastrahlen, Protonen
usw.
-
Indirektionisierende Strahlen sind Röntgen- und Gammastrahlen
sowie Neutronen, die durch Wechselwirkung mit Atomen direkt ionisierende
Strahlen erzeugen (z. B. Röntgen- oder Gammastrahlen: Elektronen;
Neutronen: Rückstoßprotonen oder Kernprozesse).
-
Von außen wirkende Strahlen sind solche, die von einer außerhalb
des Körpers sich befindenden Strahlenquelle in den Körper einwirken
(externe Exposition).
-
Von innen wirkende Strahlen sind solche Strahlen, die von inkorporierten
radioaktiven Stoffen im Körper ausgehen (interne Exposition).
-
Kontamination ist eine Verunreinigung durch radioaktive Stoffe.
-
Umschlossene Strahler sind radioaktive Stoffe, die in festen und
inaktiven Stoffen inkorpiert sind, oder die von einer inaktiven Hülle
umschlossen ist, die ausreicht, um bei üblicher Beanspruchung ein
Austreten radioaktiver Stoffe zu verhindern und die Möglichkeit einer
Kontamination auszuschalten.
-
Offene Strahler sind radioaktive Stoffe, die nicht in festen und
inaktiven Stoffen inkorporiert oder von solchen umhüllt sind. Austreten
radioaktiver Stoffe und Kontamination sind möglich.
-
Als Einheit der Strahlendosis (Ionendosis) gilt: "Coulomb pro Kilogramm"
(C/kg). Die alte Einheit ist das "Röntgen" (R); Umrechnungsfaktor:
1 C/kg = 1,88 x 303 R.
-
Als Einheit der absorbierten Dosis (Energiedosis) gilt das
"Gray" (Gy). Die alte Einheit ist das "Rad" (rd). Umrechnungsfaktor: 1
Gy = 100 rd.
-
Die Äquivalentdosis "Sievert" (Sv) wird als Einheit im Strahlenschutz
verwendet. Sie berücksichtigt die unterschiedliche biologische Wirksamkeit
verschiedener Strahlenqualitäten. Die Strahlenqualität wird bestimmt
durch die Strahlenart und -energie. Zur Berücksichtigung der biologischen
Wirksamkeit sind Bewertungsfaktoren (q) festgelegt (Sv = Gy x q). Die alte
Einheit ist das "Rem" (rem). Umrechnungsfaktor: 1 Sv = 100 rem.
-
Die Dosisleistung ist die Dosis/Zeit. Sie wird z. B. in "Gy/h",
oder "Sv/sec" bzw. "Sv/min" usw. gemessen.
-
Als Einheit der Radioaktivität gilt das"Becquerel (1 Bq = 1
Zerfall/sec); eine Umrechnung von "Bq" in "Gy" oder"Sv" ist u. a. nur bei
genauer Kenntnis der Art des Strahlers und des Expositionspfades (z. B.
externe, interne Bestrahlung) sowie der Kinetik des radioaktiven Stoffes
und anderer Faktoren möglich.
-
Die physikalische Halbwertzeit (HWZ) ist die Zeit, in der die Hälfte
der ursprünglich vorhandenen Atome zerfallen ist. (Nach 2 HWZ ist
noch 1/4, nach 3 HWZ noch 1/8 usw. der ursprünglichen
Aktivität vorhanden.)
-
Die biologische Halbwertzeit ist die Zeit, in der die Hälfte
der ursprünglich im Körper inkorporierten radioaktiven Stoffe
u. a. durch Stoffwechselvorgänge ausgeschieden wird.
Anhang 2 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr.
2402 An1. 1 BeKV
Strahlenempfindlichkeit einzelner Organe und Gewebe in Hinsicht auf die
Verursachung maligner Erkrankungen
Grad der Empfindlichkeit Organ/Gewebe
Hoch |
|
Brust
Colon
Knochenmark (Leukämie)
Lunge
Magen |
Mittel |
|
Blase
Haut
Leber
Lymphat. Zellen (Plasmocytom)
Ösophagus,
Ovar
Schilddrüse |
Niedrig |
|
Hirn
Knochen
Lymphat. Zellen (maligne Lymphome)
Niere
Prostata
Rektum |
Empfehlung für die Bearbeitung von Berufskrankheiten infolge von
Tätigkeiten bei der ehemaligen SowjetischDeutschen Aktiengesellschaft
(SDAG) Wismut (VB 27/93)
Auf der Grundlage der Verwaltungsvereinbarung nach § 88 SGB X über
die Unterstützung bei der Bearbeitung von Beruf skrankheitenverfahren
betreffend die Nr. 92 (bösartige Neubildungen oder ihre Vorstufen
durch ionisierende Strahlung) der Liste der ehemaligen DDR aus dem Bereich
der SDAG Wismut wird das nachfolgend dargestellte Bearbeitungsverfahren
empfohlen.
I. Grundlagen
Zwischen dem vermehrten Auftreten von Lungenkrebs und der Tätigkeit
im Uranerzbergbau besteht ein kausaler Zusammenhang.
Für die Angabe der Strahlenexposition im Uranerzbergbau wird ein
besonderer Dosisbegriff verwendet:
Working Level Month*) - abgekürzt
- WLM.
Bei gegebener Exposition in WLM läßt sich das Risiko für
die Strahleninduktion von Lungenkrebs relativ verläßlich abschätzen.
In einem Gespräch mit medizinischen Strahlenexperten am 25. 6.
1991 wurde übereinstimmend festgestellt, daß bei der Diagnose
Lungenkrebs und einer Exposition von
200 WLM und mehr,
die berufliche Verursachung als hinreichend wahrscheinlich anzusehen
ist.
In der Zeit zwischen 1946 und 1955 muß im Untertagebau mit einer
mittleren jährlichen Strahlenexposition von 150 WLM gerechnet werden.
Der Wert von 200 WLM wurde in diesem Zeitraum daher bereits nach etwa 16
Monaten Untertagetätigkeit erreicht.
*) Erläuterung:
Maßgebend für die Strahlenexposition
ist die Konzentration des Radons und vor allem diejenigen seiner kurzlebigen
Zerfallsprodukte in der Atemluft. Die gesamte in der Raumeinheit vorhandene
Energie der Alphastrahlung dieses Radioaktivitätsgemisches dient als
Maß für die Exposition. Die Einheit Working Level
(WL) ist wie folgt definiert:
1 WL 1,3 . 10-5 MeV/1 = 2,08 . 10-5 J/m3
Wirkt diese Alpha-Energiekonzentration in der Atemluft
von 1 WL einen Arbeitsmonat (170 h) lang auf einen Menschen ein, so wird
diese Dosis 1 Working Level Month, abgekürzt
LWLM, genannt.
Die Feststellung des Expertenkreises erlaubt ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren
insbesondere für Fälle mit Expositionen in den ersten zehn Nachkriegsjahren
(1946 - 1955).
In einem zweiten Gespräch mit medizinischen Strahlenexperten am
9. 4. 1992 wurde ein von Prof. Jacobi und Mitarbeitern erarbeitetes Modell
zur Ermittlung der Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs bei
Uranbergarbeitern als ergänzende Grundlage für eine Abstufung
im Anerkennungsverfahren akzeptiert.
Das Berechnungsmodell ist in der Broschüre des Instituts für
Strahlenschutz der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik
und der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie mit dem Titel
Verursachungs-Wahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche
Strahlenexposition von Uranbergarbeitern der Wismut AG
Gutachterliche Stellungnahme im Auftrage der Berufsgenossenschaften
von W. Jacobi in Zusammenarbeit mit K. Henrichs und D. Barclay ausführlich
dargestellt worden. Es ermöglicht eine Entscheidungsfindung mittels
einfacher Berechnungsverfahren zur Exposition. Die Bezirksverwaltung der
BergbauBerufsgenossenschaft in Gera und das Institut für Strahlenschutz
der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, der Berufsgenossenschaft
der chemischen Industrie stehen für ergänzende Erläuterungen
zur Verfügung.
II. Unterstützung im Verfahren
Bei Berufskrankheitenverfahren nach BK-92 (DDR-BK-Liste) bzw. nach BK-2402
von Beschäftigten der SDAG Wismut unterstützt die Bergbau-Berufsgenossenschaft
die für den Fall zuständige Berufsgenossenschaft. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft
wird bei grundsätzlichen Fragestellungen vom Institut für Strahlenschutz
der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik und der Berufsgenossenschaft
der chemischen Industrie unterstützt.
Dieser Unterstützung wird bei Vorliegen folgender Voraussetzungen
gewährt:
Diese Vorgehensweise erfaßt alle Fälle, die nach dem Zufallsschlüssel
direkt auf die Berufsgenossenschaften verteilt werden.
Eine größere Zahl von Fällen liegt derzeit noch unbearbeitet
beim Gesundheitswesen der Wismut. Im Interesse einer zügigen Abwicklung
werden diese Fälle in direkter Abstimmung zwischen der Bergbau-BG
und dem Gesundheitswesen der Wismut im Sinne der oben dargestellten Vorgehensweise
vorbearbeitet und erst anschließend auf die Berufsgenossenschaften
verteilt.
III. Beurteilung der Fälle
Ergibt die Abschätzung der Strahlenexposition einen Wert von
ist nach Auffassung des o. g. Expertenkreises eine ärztliche Einzelfallbegutachtung
nicht erforderlich. Für die Anerkennung genügt eine fachärztliche
Stellungnahme. Gleiches gilt für solche Fälle, bei denen aufgrund
der Höhe der Exposition unter Berücksichtigung des Alters zum
Zeitpunkt der Exposition und zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Ursachenzusammenhang
ebenso wie bei dem Wert ab 200 WLM wahrscheinlich ist. Anhaltspunkt für
diese Entscheidung sind die von Prof. Jacobi in der anliegenden Untersuchung
dargestellten Beurteilungsgrundlagen.
Fälle mit einer Exposition von weniger als
sind ausschließlich auf der Grundlage von Einzelgutachten zu entscheiden.
Die Risikoabschätzung nach dem Modell von Jacobi sollte in die Wertung
mit einfließen.
IV. Gültigkeit
Die Empfehlung hat keinerlei bindenden und abschließenden Charakter.
Sie soll eine Entscheidungshilfe sein, die nach weiteren Erfahrungen zusätzlicher
Verfeinerungen und Ergänzungen bedarf.Verursachungs-Wahrscheinlichkeit
in Abhängigkeit vom Alter bei Diagnose im Fall einer kurzzeitigen,
kumulierten Exposition von 20 - 250 WLM im Alter von 30 Jahren
Wir haben das Merkblatt
für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau
zu übertragen.
Dennoch können uns
Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten.
Verbindlich ist nur der
im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.
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© E.Münzberger
Letzte Überarbeitung: 1.3.1999