|
Der Beurteilungspegel kennzeichnet die Wirkung eines Geräusches auf das Ohr. Er ist der Pegel eines für die Dauer einer achtstündigen Arbeitsschicht konstanten Geräusches oder, bei zeitlich schwankendem Pegel, der diesem gleichgesetzte Pegel. Wenn die Beurteilungspegel an den Tagen einer Arbeitswoche unterschiedlich sind, wird der Beurteilungspegel auf eine 40stündige Arbeitswoche bezogen. Der Beurteilungspegel wird nach der VDI-Richtlinie 2058 Blatt 2 "Beurteilung von Arbeitslärm am Arbeitsplatz hinsichtlich Gehörschäden" Abs. 4.4. in Zusammenhang mit Anhang A und DIN 45641 ermitteln und in dB(A) angegeben.
Am Arbeitsplatz kann Lärm nach mehrjähriger Einwirkung zu Lärmschäden des Gehörs führen. Bei sehr hohen Lautstärken sind bleibende Gehörschäden schon nach wenigen Tagen oder Wochen möglich. Geräusche, bei denen Frequenzen über 1000 Hz vorherrschen, und schlagartige Geräusche hoher Intensität(Impulslärm) sind für das Gehör besonders gefährlich. Durch Lärm verursachte Gehörschäden können eine Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" werden.
Schon die beginnende Gehörschädigung durch Lärm kann mittels Tonaudiogramm durch typischen Hörverlust im Fre quenzbereich um 4000 Hz (sog. c5-Senke) festgestellt werden Auch später ist noch für längere Zeit ein Überwiegen de Hochtonstörung feststellbar, aus der Hochtonsenke wird ei Hochtonabfall. Der Hauptsprachbereich (500-3000 Hz) wir erst spät beeinträchtigt.
Ein Lautheitsausgleich (Recruitment), möglichst durch mehrere überschwellige Prüfmethoden bestätigt, spricht für eine Schädigung der Sinneszellen des Corti-Organs durch Lärm.
Differentialdiagnostisch ist eine Schalleitungs-(MittelohrSchwerhörigkeit leicht auszuschließen (u. a. im Tonaudiogramm in nicht nur einer Frequenz mehr als 10 dB Differenz zwischen Luft- und Knochenleitung); weitere Hinweise auf die Möglichkeit einer gestörten Schalleitung sind morphologische Veränderungen und Bewegungseinschränkungen an den Trommelfellen, eine behinderte Tubendurchgängigkeit und eine Fixation der Gehörknöchelchenkette. Schwieriger gestaltet sich der Ausschluß von Schallempfindungsstörungen anderer Ursachen; neben dem Recruitment ist vor allem die Form des Tonaudiogramms von Bedeutung. Nur der basocochleäre Typ spricht für Schwerhörigkeit durch Lärm, während mediocochleäre Typen für eine andere Lokalisation im Schneckenwindungssystem entweder im Sinne einer hereditären oder einer Hörnervenschwerhörigkeit sprechen, pancochleäre Formen eher auf eine Meniére'sche Krankheit hindeuten. Hinweise auf toxische Schäden des Innenohrs (durch ototoxische Medikamente, besonders bei Tbk, durch Kohlenmonoxid usw.) und auf Knalltraumen müssen in erster Linie aus der Anamnese gewonnen werden. Eine konstitutionelle degenerative Innenohrschwerhörigkeit muß nicht immer erkennbar erblich sein; sie ist häufig erheblich seitendifferent, ihr Beginn Ist vielfach schon auf die Zeit vor der Lärmexposition zurückzuverfolgen. Auch muß man bei einem auffälligen Mißverhältnis zwischen Schwere der Hörstörung und Dauer und/oder Intensität der Lärmexposition an degenerative Prozesse, z. B. auch in ursächlichem Zusammenhang mit einer erkennbaren Hirnsklerose, denken. Auch ein Durchblutungsmangel des Innenohrs infolge Osteochondrose der Halswirbelsäule ist zu beachten.
Reine Hochtonverluste sind nicht anzeigepflichtig. Präventivmedizinische Zielsetzungen können auf andere Weise (z. B. durch Kontakt mit dem Betriebsarzt oder Mitteilung an den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung) wirksamer und einfacher verfolgt werden.
Zur Begutachtung: Führende deutsche Audiologen haben in Zusammenarbeit mit dem Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für Lärmbekämpfung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften "Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit" ("Königsteiner Merkblatt") erarbeitet, die dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und der praktischen Erfahrung von Zeit zu Zeit angepaßt werden sollen. Die in den Empfehlungen enthaltenen Tabellen zur Einschätzung der MdE sind allgemeine Richtwerte, sie dürfen nicht schematisch für die Ermittlung MdE angewendet werden. Für den Vorschlag zur Höhe der MdE ist entscheidend, in welchem Umfang dem Versicherten der allgemeine Arbeitsmarkt mit seinen vielfältigen Erwerbsmöglichkeiten, in dem es häufig auf das ungestörte Hörvermögen wenig ankommt, verschlossen ist.
Die Empfehlungen enthalten außerdem Hinweise auf die für eine angemessene Begutachtung erforderlichen Untersuchungen: Eigen- und Familienanamnese sowie Arbeitsanamnese, Spiegeluntersuchung einschl. Prüfung der Beweglichkeit der Trommelfelle und der Tubendurchgängigkeit, Stimmgabelprüfung, Tonschwellenaudiometrie, mindestens zwei überschwellige Testmethoden zur Differentialdiagnose, Sprachaudiometrie, Hörweitenprüfung und Prüfung auf Spontan- und Provokationsnystagmus. Rö-Untersuchungen sollen nur bei spezieller Indikation vorgenommen werden.
Es wird verlangt, daß der Funktionsverlust in Form des prozentualen Hörverlustes angegeben wird, aus dem dann der MdE-Vorschlag abzuleiten ist.
Grundvoraussetzung für die Bejahung einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit ist eine hinreichende Lärmexposition am Arbeitsplatz. Lärmmessungen am Arbeitsplatz sind deshalb unentbehrlich, wenn nicht auf bereits bekannte Meßergebnisse zurückgegriffen werden kann.
Eine Alterskorrektur wird bei noch unter Lärmbedingungen Tätigen
grundsätzlich nicht vorgenommen; dagegen ist sie zu berücksichtigen,
wenn bei vorgeschrittenem Alter seit dem Ende der Lärmarbeit einige
Jahre vergangen sind oder wenn der augenblickliche Hörverlust den
zu erwartenden Altersverlust nicht übersteigt. Bei dem nicht ganz
seltenen Ereignis einer akut auftretenden Hörstörung durch Lärm
ist der zeitliche Zusammenhang zwischen der schädigenden Lärmeinwirkung
und dem Auftreten der Hörstörung eingehend zu prüfen. Außerdem
ist nach Möglichkeit der Beweis zu führen, daß vor der
Lärmexposition ein normales oder doch wesentlich besseres Hörvermögen
bestanden hat.
Lehnhardt, E.: Die Berufsschäden des Ohres. Hauptreferat der 36. Tagung d. Dtsch. Ges. HNO-Ärzte, Hamburg 1965. Boenninghaus, H. G., und D. Roeser: "Neue Tabellen zur Bestimmung des prozentualen Hörverlustes für das Sprachgehör. Laryng. Rhinol. 52 (1973) 153 - 161. Feldmann, H.: Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Stuttgart 1976. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Schriftenreihe): Arbeitsmedizinsiche Tagung über die berufliche Lärmschwerhörigkeit. Bad Reichenhall 1974 (dort auch erste Fassung des "Königsteiner Merkblattes").
0 | Vorwort |
1 | Zweck, Anwendungsereich |
2 | Allgemeines |
3 | Erforderliche Untersuchungen |
3.1 | Eigen-, Familien-, Freizeit- u. Arbeitsanamnese |
3.2 | Eingehende hno-ärztliche Spiegeluntersuchung |
3.3 | Stimmgabelprüfung nach Rinne und Weber |
3.4 | Tonschwellenaudiometrie |
3.5 | Ergänzende tonaudiometrische Untersuchungen |
3.5.1 | Zur Schalleitungsfunktion (Tympanometrie) |
3.5.2 | Zur Differentialdiagnose zwischen cochleärer und retrocochleärer Schwerhörigkeit |
3.5.3 | Zur Verifizierung und Differenzierung von Tinnitus |
3.6 | Sprachaudiometrie |
3.7 | Hörweitenprüfung und Überprüfung der Plausibilität |
3.8 | Gleichgewichtsprüfung |
3.9 | Ergänzende Untersuchungen |
4 | Gutachtliche Auswertung der Befunde |
4.1 | Diskussion des Ursachenzusammenhangs als Voraussetzung einer Berufskrankheit (haftungsbegründender und haftungsausfüllender Zusammenhang) |
4.2 | Berechnung des prozentualen Hörverlustes |
4.2.1 | Aus dem Sprachaudiogramm |
4.2.2 | Aus dem Tonaudiogramm |
4.3 | Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) |
4.3.1 | Definition der MdE |
4.3.2 | Bemessung der MdE aus dem prozentualen Hörverlust |
4.3.3 | Beginn und zeitliche Staffelung der MdE (Versicherungsfall, Leistungsfall) |
4.3.4 | Berücksichtigung von Vor- und Nachschäden |
4.3.5 | Bemessung der MdE bei Tinnitus |
4.4 | Weitere Empfehlungen |
4.4.1 | Zur Frage der Umsetzung |
4.4.2 | Zu einer Nachuntersuchung |
4.4.3 | Zur Versorgung mit Hörhilfen |
5 | Weitergehende Literatur |
*) Die Grundsätze entsprechen den derzeitigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft auf ohrenfachärztlichem Gebiet (BSG, 25.8. 1982, Rdschr. HVBG VB 188/82; LSG Niedersachsen, 10. 6. 1981, ebenda; Bayer. LSG, 11. 3. 1987, Rdschr. HVBG VB 72/87); aus Gründen der Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle sind sie anzuwenden (LSG Schleswig-Holstein, 17. 2. 1988, B G 1988, 687). |
Die nunmehr 4. völlig neu überarbeitete Auflage berücksichtigt insbesondere den Fortschritt in der medizinischen Wissenschaft, u. a. mit den Verfeinerungen der Untersuchungsmethoden zur bestmöglichen Objektivierung von Hörschädigungen (Einfügung der Tympanometrie etc.), aber auch die Verifizierung und Differenzierung von Tinnitus (Ohrgeräuschen). Darüber hinaus wurden die Empfehlungen ergänzt um die rechtliche Definition der MdE im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung und um die Schlußfolgerung aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum Versicherungsfall bei Berufskrankheiten. Neben diesen wesentlichen Neuerungen wurde auch den Bemühungen der Unfallversicherung Rechnung getragen, mehr Transparenz in das Begutachtungswesen bei Beruf skrankheiten zu bringen. Insoweit bleibt das Königsteiner Merkblatt seiner Pilotfunktion im Begutachtungswesen der gesetzlichen Unfallversicherung bei Berufskrankheiten gerecht und wurde entsprechend dem medizinischwissenschaftlichen Kenntnisstand sowie dem aktuellen Stand der Rechtsprechung optimiert.
Die Gutachter sollen die im Merkblatt erläuterten Untersuchungsmethoden beachten und sich zu den exemplarisch aufgeführten Fragen äußern.
Besonderer Dank für die wissenschaftliche Vorbereitung der 4. Auflage gilt Herrn Prof Dr. H. Feldmann, Münster und Herrn Prof. Dr. T. Brusis, Köln, die an der Überarbeitung wesentlich mitgewirkt haben. Die 4. Auflage beruht auf einem interdisziplinären Fachgespräch des Hauptverbandes, das am 24./25. Oktober 1994 in der Berufsgenossenschaftlichen Akademie in Hennef durchgeführt wurde.
Die zuständigen Gremien des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften haben der Neufassung des "Königsteiner Merkblattes" zugestimmt.
Sankt Augustin, Oktober 1995
Gutachten, die für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
erstattet werden, müssen den folgenden Gesichtspunkten Rechnung tragen:
Bei Erstbegutachtungen und einfachen Nachbegutachtungen ist möglichst der Arztvordruck 22 "Hals-NasenOhrenärztliches Gutachten zur Frage der beruflichen Lärmschwerhörigkeit" zu verwenden. Gegebenenfalls kann der Vordruck durch beigelegte Blätter ergänzt werden. Bei besonderen Fragestellungen kann das Gutachten nach Absprache mit dem UV-Träger auch in freier Form erstattet werden.
Alle im Vordruck angeführten Fragen sind sorgfältig zu beantworten. Ebenso müssen alle geforderten Untersuchungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt und sorgfältig dokumentiert werden.
Beim Eintragen der Meßwerte der ton- und sprachaudiometrischen
Untersuchung in die Vordrucke sind Übertragungsfehler unbedingt zu
vermeiden (nicht abzeichnen, sondern möglichst Kopien oder Zweitausdrucke
erstellen). Die einzelnen Meßpunkte müssen klar erkennbar sein;
die Kurven dürfen nicht geglättet werden.
Hierdurch soll geklärt werden, ob eventuell eine familiäre Belastung hinsichtlich einer erblichen Schwerhörigkeit vorliegt und welche Erkrankungen, Unfälle oder berufsunabhängigen Lärmeinwirkungen Einfluß auf das Hörvermögen haben können. Besonderes Gewicht ist auf die Fragen nach der Entwicklung der Hörstörung selbst und ihren konkreten Auswirkungen für den Versicherten zu legen, z. B.:
Ziel der tonaudiometrischen Prüfung muß die Ermittlung des besten Hörwertes für die angebotene Frequenz sein. Weichen die Ergebnisse bei mehrfacher Prüfung wesentlich voneinander ab, so sollte hierfür eine Erklärung gefunden werden, zum Beispiel Kollabieren des Gehörganges, Aggravation. Werden weiterhin stark streuende Angaben gemacht, so sind die einzelnen differierenden Meßwerte in das Audiogrammformular einzuzeichnen, damit die Zuverlässigkeit der besten, letztlich für die Auswertung heranzuziehenden Werte eingeschätzt werden kann. Wird das Tonaudiogramm durch zu viele differierende Meßwerte überfrachtet und dadurch nicht mehr beurteilbar, so soll für die Schwellenkurven, die der gutachterlichen Beurteilung zugrundegelegt werden, ein eigenes Tonaudiogramm geschrieben werden mit dem Hinweis: Beurteilungsaudiogramm.
Bei hochgradigen Hörverlusten besonders im Tieftonbereich oder Taubheit (ein- oder beidseitig) sind die angegebenen Fühlwerte bzw. die Überhörkurven für Knochenund Luftleitung in das Audiogramm einzutragen und zu kennzeichnen. Werden diese zu erwartenden Meßwerte nicht angegeben, so ist dies ausdrücklich zu vermerken, da es ein wichtiger Hinweis auf mangelhafte Kooperation bei der Untersuchung ist und geeignet sein kann, auch die Zuverlässigkeit der anderen Meßwerte in Zweifel zu ziehen.
Für eine regelmäßige Nachkalibrierung der Audiometer
ist dem Eichgesetz entsprechend Sorge zu tragen. Das Datum der letzten
Kalibrierung durch einen anerkannten Wartungsdienst ist anzugeben.
Zum Ausschluß oder gegebenenfalls zur Differentialdiagnose einer Schalleitungsstörung ist immer eine tympanometrische Untersuchung vorzunehmen, sofern nicht besondere Gesichtspunkte dagegen sprechen, z. B. Trommelfellperforation, Zustand nach Operation. Die Kurven sind dem Gutachten in Kopie beizufügen.
3.5.2 Zur Differentialdiagnose zwischen cochleärer und retrocochleärer Schwerhörigkeit
Zur Unterscheidung, ob eine cochleäre oder retrocochleäre Hörstörung vorliegt, genügen zwei Tests, wenn diese in ihrem Ergebnis übereinstimmen. Bei Widersprüchen sind weitere Tests durchzuführen, um den Sitz der Hörstörung möglichst sicher zu identifizieren, insbesondere auch bei vermuteten unterschiedlichen Schädigungsursachen.
An Tests kommen in Betracht:
Wird über belästigende Ohrgeräusche (Tinnitus) geklagt, so müssen diese sorgfältig analysiert werden
Der Sprachtest wird monaural Über Kopfhörer mit Hilfe der Zahlwörter und der Einsilber des Freiburger Tests (gemäß DIN 45621) durchgeführt. Für die Aufnahme sind verschleißfreie Tonträger entsprechend dem Stand der Technik /z. B. Compact Disk) zu verwenden. Für eine regelmäßige Kalibirierung des Sprachaudiometers nach DIN 45 626 ist Sorge zu tragen.
Der Hörverlust für Zahlwörter (in dB) orientiert sich
nach dem 50porozentigen Verständnis gemäß DIN 45 624. Die
Verständlichkeitskurven für Zahlwörter sind Lautstärkenstufen
von 5 dB aufzunehmen, wobei so viele Stufen geprüft werden müssen,
daß eine vollständige Kurve von 0% bis 100% Verständlichkeit
dargestellt wird. Die Verständlichkeit der Einsilber (in Prozent)
ist in Stufen von 10 dB zu bestimmen. Hierbei sind die Pegel von 60, 80
und 100 dB in jedem Fall einzubeziehen. Alle einzelnen Meßwerte sind
eindeutig identifizierbar in das Sprachaudiogramm einzuziehen und zu Kurven
für die Verständlichkeit der Zahlwörter und der Einsilber
zu verbinden.
Im Sprachaudiogramm muß die Verständlichkeitskurve für Zahlwörter steil verlaufen; die Kurven für Zahlwörter und Einsilber dürfen keine Stufen und Sprünge aufweisen; sie müssen in angemessenem Abstand zueinander verlaufen.
Die übershwelligen Tests dürfen keine groben Diskrepanzen aufweisen, z. B. derart, daß Lautheitssprünge von 5 dB beim SISI-Test angeblich nicht wahrgenommen werden, andererseits aber bei der Stapediusreflexmessung ein positives Metzrecruitment nachzuweisen ist usw.
Ergeben sich Widersprüche zwischen den Angaben bei den verschiedenene Hörprüfungen, aber auch zwischen diesen und dem Sprachverständnis, das sich in den anderen
Untersuchungssituationen ergeben hatte, z. B. bei der Erhebung der Anamnese,
so müssen diese Widersprüche nach Möglichkeit durch Nachprüfungen
und ergänzende Untersuchungen aufgeklärt und beseitigt werden.
Gelingt dies nicht, sollte in der gutachtlichen Auswertung der Befunde
deutlich auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen werden.
Krankheit tatsächlich ihre rechtlich wesentliche Ursache bzw. Teilursache in der versicherten Tätigkeit hat.
Voraussetzung für die Anerkennung im Einzelfall ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Lärmeinwirkung sowie dem Schaden; dieser Ursachenzusammenhang begründet die grundsätzliche Entschädigungspflicht und wird als haf tungsbegründender Ursachenzusammenhang bezeichnet.
Im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität muß zunächst dargelegt werden, in welchem Ausmaß eine berufliche Lärmeinwirkung bestand. Grundlage für die Beurteilung ist das Gesamtergebnis der Ermittlungen, wobei insbesondere die Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes zu beachten sind. Darüber hinaus sind die Angaben des Versicherten, der Unternehmer usw. zu der Lärmexposition, zu den besonderen arbeitstechnischen Verhältnissen, zu der individuellen Verwendung von Lärmschutzmitteln und Hörhilfen mit heranzuziehen; ggf. kann der Betriebsarzt ergänzende Informationen liefern.
Repräsentativ und maßgebend für die Beurteilung der beruflichen Lärmexposition ist im Regelfall der auf 8 Stunden bezogene energieäquivalente Dauerschallpegel (LAeq.8h). Als Zusatzinformation sollte die Genauigkeitsklasse und ggf. die Impulshaltigkeit angegeben werden. Ferner muß anschließend der Ursachenzusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Hörschädigung dargelegt werden. Schließlich muß der Ursachenzusammenhang zwischen der Hörschädigung und den weiteren Folgen der Lärmschwerhörigkeit begründet werden. Er "füllt" die Haftung "aus" und wird als haftungsausfüllender Ursachenzusammenhang (Kausalität) bezeichnet.
Während für die Tatbestände versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Körperschaden der Vollbeweis im Rechtssinne erforderlich ist, reicht für die Frage der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus.
In welchem Umfang die Lärmschwerhörigkeit zu entschädigen ist, ergibt sich aus Abschnitt 4.3.1 ff.
Zur Kausalität ist zu diskutieren bzw. zu prüfen, inwieweit die Untersuchungsbefunde die Annahme einer berufsbedingten Lärmschädigung stützen oder eher unwahrscheinlich machen. Für die Annahme einer Lärmschädigung spricht,
Eine starke Seitendifferenz, die nicht zum typischen Bild einer reinen Lärmschwerhörigkeit gehört, bedarf der besonderen Erörterung. Ein Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Lärmexposition und der Hörstörung ist als wahrscheinlich anzusehen, wenn mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.
Ergibt sich, daß Anteile der gesamten festgestellten Schwerhörigkeit mit Sicherheit nicht durch Lärm verursacht sein können, so müssen sie bei der Einschätzung des Schweregrades der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit abgegrenzt und außer Betracht gelassen werden. Dies kann z. B. bei einer zusätzlich bestehenden Schalleitungsstörung allein auf Grund des Befundes möglich sein, aber auch auf Grund der zeitlichen Entwicklung in Verbindung mit dem Befund, z. B. wenn außerhalb der Lärmarbeit eine einseitige Tieftonschwerhörigkeit durch einen Hörsturz aufgetreten ist. Zur Abgrenzung dieser zusätzlichen Schäden siehe auch 4.3.4 (Berücksichtigung von Vor- und Nachschäden).
Ist die Abgrenzung eines nicht lärmbedingten Anteiles der Schwerhörigkeit
nicht sicher möglich, so muß nach der Kausalitätslehre
der wesentlichen Bedingung entschieden werden, ob die Lärmeinwirkung
oder welcher andere Faktor die wesentliche Bedingung für die Entstehung
der Schwerhörigkeit war. Nur diese Bedingung gilt dann versicherungsrechtlich
als Ursache der gesamten medizinisch nicht näher abgrenzbaren Schwerhörigkeitsanteile.
4.2.1 Aus dem Sprachaudiogramm
Dieser wird nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser ermittelt. Hierzu müssen folgende Werte aus dem Sprachaudiogramm abgelesen bzw. errechnet werden, mit denen dann in die Tabelle hineingegangen wird:
a) Der Hörverlust für Zahlen:
b) Das Gesamtwortverstehen nach Boenninghaus und Röser:
c) Das gewichtete Gesamtwortverstehen nach Feldmann:
Abb.: Berechnung von Gesamtwortverstehen und prozentualem Hörverlust
aus dem Sprachaudiogramm
a1 - Wert: 25 dB, einfaches Gesamtwortverstehen: 30 + 70 + 90 = 190, proz. HV bds. 30%/.. a1 - Wert: 25 dB, gewichtetes Gesamtwortverstehen: (3 x 30 + 2x 70 + 1 x 90) : 2 = 160, proz. HV, bds. 40%. |
Ergibt sich nach Anwendung des gewichteten Gesamtwortverstehens
ein prozentualer Hörverlust von mehr als 40%, so ist der prozentuale
Hörverlust noch einmal unter Verwendung des einfachen Gesamtwortverstehens
zu bestimmen und dieser Wert der Bemessung der MdE zugrunde zu legen. Hierbei
darf jedoch ein Wert von 40% für den prozentualen Hörverlust
nicht unterschritten werden.
Wenn die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nach dem Sprachaudiogramm
unter Verwendung des gesichteten Gesamtwortverstehens einen Wert von weniger
als 20% ergibt, ist für die Entscheidung, ob eine versicherungsrechtlich
relevante Schwerhörigkeit vorliegt oder nicht, noch das Tonaudiogramm
heranzuziehen (4.2.2). Ergibt sich aus dem Tonaudiogramm bei Anwendung
der Drei-Frequenz-Tabelle (Röser 1980) ein prozentualer Hörverlust
von 20% oder mehr und kann sicher ausgeschlossen werden, daß die
tonaudiometrischen Werte durch Meßfehler (z. B. Aggravation) verfälscht
sind, so ist eine versicherungsrechtlich relevante Schwerhörigkeit
entsprechend einem prozentualen Hörverlust von 20%, aber auch nicht
mehr anzunehmen.
4.2.2 Aus dem Tonaudiogramm
Wenn die sprachaudiometrische Untersuchung keine verläßlichen Werte ergeben hat, z. B. weil der Versicherte nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt oder weil bei einem Aktengutachten ein verläßliches Sprachaudiogramm nicht vorliegt, kann der prozentuale Hörverlust hilfsweise auch aus dem Tonaudiogramm nach der DreiFrequenz-Tabelle (Röser 1980) ermittelt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß für die Feststellung des Schweregrades der Lärmschwerhörigkeit bei Vorliegen einer relevanten Schalleitungskomponente nur die über Knochenleitung gemessenen Hörschwellen, in denen die reine
Innenohrhörleistung zum Ausdruck kommt, zugrunde gelegt werden dürfen. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß sich bei Anwendung dieser Tabelle aus dem Tonaudiogramm zumeist ein etwas höherer prozentualer Hörverlust als aus dem Sprachaudiogramm ergibt.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist ein Rechtsbegriff. Versichertes Rechtsgut in der gesetzlichen Unfallversicherung ist die individuelle Erwerbsfähigkeit. Die MdE besteht in der Einschränkung der Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung aller Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen körperlichen und geistigen Gegebenheiten im Gesamtbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Diese individuelle Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben kann durch eine Lärmschwerhörigkeit beeinträchtigt werden. Die Berücksichtigung der Einschränkungen im privaten Bereich ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung.
Diese Betrachtungsweise folgt aus dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung; dies bedeutet, daß eine im Einzelfall vorliegende tatsächliche Einkommenseinbuße bei der Einschätzung der MdE unberücksichtigt bleiben muß.
Rechnerisch ist die Erwerbsfähigkeit vor Eintritt der BK mit 100% anzusetzen und stellt den Beziehungswert dar, dem das nach Eintritt der BK verbliebene Ausmaß an Erwerbsfähigkeit als Vergleichswert gegenübergestellt werden muß. Die Differenz beider Werte ergibt die sog. MdE. Es ist daher zu ermitteln, welche Arbeiten der Versicherte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten vor Eintritt der BK auf dem gesamten Gebiet des wirtschaftlichen Lebens leisten und welche Tätigkeiten er nach Eintritt der BK bei seinem nun vorliegenden Gesundheitszustand noch verrichten kann. Arbeitsmöglichkeiten, die dem Versicherten wegen seines Gesundheitszustandes bereits vor Eintritt der BK verschlossen waren, sind nicht zu berücksichtigen.
Eine Rente kann nach der Rechtsvorschrift des § 581 RVO nur gewährt werden, wenn u. a. die Erwerbsfähigkeit des Versicherten um wenigstens 1/5 (20%) oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten jeweils um mindestens 10% gemindert und die Summe der durch die einzelnen Unfälle/Berufskrankheiten verursachten MdE wenigstens 20% beträgt. Den Arbeitsunfällen/Berufskrankheiten stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach dem Beamten-, dem Versorgungsrecht oder anderen Gesetzen, die Entschädigungen für Unfälle usw. gewähren. Dabei können sich Minderungen der Erwerbsfähigkeit aus mehreren Entschädigungsfällen gegenseitig "stützen", der frühere den späteren oder umgekehrt.
4.3.2 Bemessung der MdE aus dem prozentualen Hörverlust
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird nach Tabelle 3 aus dem prozentualen Hörverlust der beiden Ohren bestimmt, wobei auch Zwischenwerte angegeben werden können. Ein beiderseitiger Hörverlust von 40% ergibt eine MdE von 20%, ein beiderseitiger Hörverlust von 20% eine MdE von 10%. Beträgt der prozentuale Hörverlust beiderseits nur 10% oder weniger, so wird eine meßbare MdE nicht erreicht. Als Ergebnis ist dann anzugeben" MdE unter 10%".
In besonders begründeten Einzelfällen kann bei beidseitiger Taubheit eine höhere MdE als 80% bedingt sein.
4.3.3 Beginn und zeitliche Staffelung der MdE (Versicherungsfall, Leistungsfall)
Der Gutachter soll zur zeitlichen Entwicklung der Lärmschwerhörigkeit und der durch sie bedingten Stellung nehmen. Eine Staffelung der MdE sollte nach Möglichkeit durch audiologische Befunde oder andere aktenkundige Daten belegt werden können, z. B. Daten von Vorsorgeuntersuchungen, Zeitpunkt des der ärztlichen Anzeige zugrundeliegenden Audiogramms, Beendigung der Lärmarbeit. Zu berücksichtigen ist, daß grundsätzlich nur MdE-Unterschiede von 10% rechtlich im Sinne einer Verschlimmerung relevant sind.
Der Versicherungsfall (regelwidriger Körperzustand) ist eingetreten, wenn eine lärmbedingte Hörstörung objektiv meßbar ist, auch ohne daß ein meßbarer Grad der MdE vorliegt.
Der Leistungsfall liegt vor, wenn die Versorgung mit einer Hörhilfe erforderlich ist, bzw. wenn aufgrund der MdE Anspruch auf eine Rente besteht (vgl. 4.3.1). Dies ist in der Regel bei Erreichen einer MdE von 20% der Fall. Besteht aus Schäden im Sinne des § 581 Abs. 3 RVO schon eine stützende MdE, wird der Leistungsfall mit Rentenanspruch durch die Lärmschwerhörigkeit schon bei einer MdE von 10% erreicht (vgl. 4.3.1). Ein Leistungsfall liegt ebenfalls vor, wenn ein lärmschwerhörigkeitsbedingter Tinnitus einer Behandlung bedarf.
4.3.4 Berücksichtigung von Vor- und Nachschäden
Wird festgestellt, daß die Hörstörungen neben der versicherten Tätigkeit auch noch durch andere Einflüsse verursacht wurden, so ist die durch die versicherte Tätigkeit im Lärm verursachte Hörstörung von den Auswirkungen der anderen Einflüsse abzugrenzen.
Bei der Abgrenzung, ob die lärmunabhängige Schwerhörigkeit einen Vorschaden oder einen unfallversicherungsrechtlich unerheblichen Nachschaden darstellt, entstehen Schwierigkeiten. Diese resultieren daraus, daß die schädigenden Einwirkungen infolge berufsbedingten Lärms über einen längeren Zeitraum erfolgen und die Erkrankung sich fortlaufend entwickelt. Eine vor der ersten Lärmeinwirkung bereits gegebene Hörminderung stellt versicherungsrechtlich unzweifelhaft einen Vorschaden dar. Auch ein nach Beginn der ersten Lärmarbeit eingetretener lärmunabhängiger Hörverlust ist als Vorschaden zu bewerten, wenn erst im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung dieses Hörverlustes (z. B. Hörsturz auf einem Ohr) eine bis dahin nicht erkannte berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit festgestellt wird. Die zeitliche Grenze, nach der ein nunmehr erwachsender lärmunabhängiger Schaden nicht mehr als Vorschaden gewertet werden kann, ist der fiktive Unfallzeitpunkt nach § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO, nämlich der Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung, oder wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der MdE. Sinn und Zweck der Berücksichtigung der Vorschäden bei der Bemessung der MdE sprechen jedoch dafür, als Grenzpunkt bei Berufskrankheiten den Zeitpunkt des Leistungsfalles zu wählen (vgl. 4.3.3). In jedem Fall liegt ein betriebslärmunabhängiger Vorschaden dann nicht mehr vor, wenn er erst nach Aufgabe der letzten Lärmtätigkeit entstanden ist oder sich ein vorbestehender Schaden ab diesem Zeitpunkt noch verschlimmert.
Hörstörungen, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Lärmeinwirkung stehen und schon vor Eintritt des Leistungsfalls vorhanden waren, sind grundsätzlich als
Vorschäden zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, daß sie im versicherungsrechtlichen Sinne objektiv meßbar sind. Als Vorschäden gelten also nicht allein die Hörstörungen, die schon vor Beginn der versicherten Lärmeinwirkung vorgelegen haben, sondern auch diejenigen, die sich während der versicherten Lärmeinwirkung, aber spätestens bis zum Eintritt des Leistungsfalls entwickelt haben.
Vorschäden sind bei der Schätzung der MdE angemessen zu berücksichtigen. Die versicherungsrechtliche Begründung ergibt sich aus dem Grundsatz, daß ein Versicherter so versichert ist, wie er bei Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. vor Eintritt des Leistungsfalls beschaffen war (individuelle Erwerbsfähigkeit). Die individuelle Erwerbsfähigkeit des Versicherten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls ist mit 100% gleichzusetzen. Ist z. B. bei Eintritt des Versicherungsfalls auf dem einen Ohr eine anlagebedingte Taubheit und auf dem anderen Ohr eine geringgradige Lärmschwerhörigkeit gegeben, so bemißt sich die MdE nicht nach einer beidseitigen geringgradigen Schwerhörigkeit, da nur ein einseitiger Lärmschaden vorliegt (keine Anwendung der sog. Symmetrieregel). Zunächst sollte der Gutachter die Gesamt-MdE für die berufsbedingte und die nichtberufsbedingte Hörstörung bewerten (im Beispiel: MdE 30% für Gesamt-Hörverlust). Dann ist MdE für den einseitigen Lärmschaden (MdE 0%) zu bewerten. Infolge der Taubheit des Gegenohres wirkt sich die einseitige Lärmschwerhörigkeit jedoch stärker aus, da das erhaltene Gehör das Gesamt-Hörvermögen darstellt. Die MdE liegt in solchen Fällen zwischen 0 und 30%, bei 15%.
Andersgeartete von einer Lärmschwerhörigkeit sicher abgrenzbare Hörstörungen, die nach Eintritt des Leistungsfalles unabhängig von der Lärmschwerhörigkeit zu einer weiteren Hörverschlechterung führen, sind Nachschäden; ebenso Hörverschlechterungen, die sich zeitlich nach Aufgabe der gehörschädigenden Tätigkeit einstellen. Sie sind versicherungsrechtlich unbeachtlich und haben keinen Einfluß auf die MdE. Voraussetzung ist jedoch, daß sie auf Grund der Befunde oder der Umstände ihres Auftretens klar gegen die Lärmschwerhörigkeit abgegrenzt werden können (s. 4.1). Hat sich aber eine andersgeartete Hörstörung parallel zu einer Lärmschwerhörigkeit entwikkelt und kann gegen diese nicht sicher abgegrenzt werden, so muß die Beurteilung nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung erfolgen (s. 4.1).
4.3.5 Bemessung der MdE bei Tinnitus
Ohrgeräusche gehören zwar nicht zu den beherrschenden, regelmäßig
unzutreffenden Symptomen der Lärmschwerhörigkeit, sie können
aber doch mit ihr vergesellschaftet und Begleiterscheinung der Lärmschädigung
des Innenohres sein. In solchen Fällen ist ein lärmbedingter
Tinnitus bei der Bewertung des Gesamtschadensbildes mit einer MdE bis zu
10% zu berücksichtigen. Dies muß jedoch im Sinne einer integrierenden
MdE-Bewertung geschehen (Bildung einer Gesamt-MdE) und nicht durch eine
einfache Addition. Scheint diese Bemessung dem Beschwerdebild nicht gerecht
zu werden, muß kritisch geprüft werden, ob tatsächlich
die Lärmschädigung die wesentliche Bedingung für die Ohrgeräusche
ist oder ob nicht eine in der Persönlichkeit des Versicherten begründete
Reaktionsweise (z. B. im Sinne einer Neurose) der wesentliche Faktor für
die Ausgestaltung des Beschwerdebildes ist. Es ist dann eine zusätzliche
neurologisch-psychiatrische Begutachtung in Betracht zu ziehen.
Nach § 3 BeKV hat im Falle einer "konkret" drohenden Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" im Sinne der Entstehung oder der Verschlimmerung der UV-Träger zunächst mit allen geeigneten technischen, organisatorischen, persönlichen oder medizinischen Schutzmaßnahmen dieser Gefahr entgegenzuwirken. Erst wenn die Gefahr für den Versicherten durch derartige Maßnahmen nicht zu beseitigen ist, kommt ein Tätigkeitswechsel als "ultima ratio" in Betracht, der ggf. Leistungen nach § 3 Abs. 2 BeKV begründet.
Eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz ohne Lärmeinwirkung bedeutet für den Versicherten u. U. einen schwerwiegenden Eingriff in sein Berufsleben. Sie sollte darum nur in besonders gelagerten Fällen empfohlen werden. Gründe für eine Umsetzung können z. B. sein, daß trotz (angeblich) konsequenter Anwendung persönlicher Schallschutzmaßnahmen eine erhebliche Progredienz der Schwerhörigkeit zu verzeichnen ist oder daß durch einen zusätzlichen Schaden (etwa einseitige Ertaubung durch einen nicht versicherten Unfall oder eine Menièresche Krankheit) eine so schwerwiegende Verschlechterung der Hörsituation des Versicherten eingetreten ist, daß eine weitere, wenn auch gering erscheinende Gefährdung durch Lärm nicht mehr vertretbar ist.
4.4.2 Zu einer Nachuntersuchung
Nachbegutachtungen sind in der Regel nach 5 Jahren zu empfehlen, in besonderen Fällen jedoch schon nach 3 Jahren (z. B. wenn eine weit fortgeschrittene oder trotz Gehörschutz eine progrediente Lärmschwerhörigkeit besteht oder wenn regelmäßige Überwachungsuntersuchungen nicht gewährleistet erscheinen), vor allem zum Zeitpunkt der Beendigung der Lärmarbeit. Sie sind auch zu empfehlen, wenn ein an sich notwendiger Arbeitsplatzwechsel nicht verwirklicht werden kann. Ergibt eine Nachuntersuchung vom Begutachtungsergebnis wesentlich abweichende Befunde, so ist eine Nachbegutachtung angezeigt.
4.4.3 Zur Versorgung mit Hörhilfen
Die Versorgung eines Lärmschwerhörigen mit Hörgeräten ist aus hno-ärztlicher Sicht im allgemeinen indiziert, wenn mindestens eine geringgradige Schwerhörigkeit besteht. Voraussetzung ist aber auch, daß der Versicherte Hörhilfen wünscht bzw. akzeptiert und hierdurch eine wirkungsvolle Minderung der Hörstörung erreicht werden kann. Im übrigen können die in den Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien der Kassenärztliche Bundesvereinigung maßgeblichen Kriterien für die Notwendigkeit eine Hörgeräteversorgung analog angewandt werden.
Wenn bei einer Schwerhörigkeit multifaktoreller Genese die Lärmschwerhörigkeit im Sinne der rechtlichen Teilursache auch die Verordnung von Hörhilfen bedingt, geht dies zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung.*)
Ist das Ziel der Hilfsmittelversorgung durch Hörgeräte zu erreichen, für die Festbeträge nach dem 5. Buch des Sozialgesetzbuches festgesetzt sind, trägt der UV-Träger grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe der Festbeträge. Ist diese Versorgung nicht ausreichend, bedarf es einer ärztlichen Begründung für die Versorgung von Hörgeräten, die nicht von der Festbetragsregelung erfaßt sind. Dies kann z. B. begründet werden, wenn dem Versicherten mit besonderen Hörhilfen der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
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