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Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil sind ebenfalls
in Betracht zu ziehen.
Durch Laktatakkumulation und ph-Verschiebung zu sauren Werten wird ein Milieu mit Aktivierung der enzymatischen Zytolyse erzeugt. Damit werden die degenerativen Veränderungen eingeleitet oder beschleunigt. In diesem Milieu werden die restitutiven Prozesse gehemmt.
Die Bewegungssegmente der HWS weisen gegenüber den anderen Wirbelsäulenabschnitten anatomische und biomechanische Besonderheiten auf, die sie für belastungsbedingten vorzeitigen Verschleiß besonders anfällig machen. Von degenerativen Bandscheibenveränderungen ausgehende knöcherne Ausziehungen im Bereich der Processus uncinati liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Spinalnerv und zur Arteria vertebralis. Die als physiologisch zu bezeichnenden gelenkähnlichen Horizontalspalten verbessern einerseits die zervikale Beweglichkeit, andererseits stellen sie mit ihrer Tendenz, sich nach medial und lateral zu erweitern, unter biomechanischen Aspekten ein Gefährdungspotential dar. Damit kann eine Lockerung und Instabilität im Bewegungssegment eintreten. Laterale Erweiterungen der Horizontalspalten zerstören die Integrität des osmotischen Systems der Bandscheibe; es kommt zu einem Absinken des intradiskalen onkotischen Druckes, zum Flüssigkeitsverlust und damit zur Höhenabnahme der Bandscheibe.
Hervorzuheben ist ferner die enge topographische Beziehung der Bandscheibe und der anderen Anteile des Bewegungssegmentes zur Arteria vertebralis und zum Halsstrang des Sympathikus.
Mit der Bandscheibendegeneration vergrößert sich der knöcherne Kontakt an den Processus uncinati sowie an den Wirbelgelenken. Es kommt zu osteophytären Reaktionen im Bereich der Processus uncinati, die zusammen mit dem verminderten Zwischenwirbelabschnitt die Foramina intervertebralia einengen. Osteophytäre Reaktionen an den Wirbelgelenkfacetten, die vorzugsweise im Bereich der oberen und mittleren Halswirbel auftreten, verengen insbesondere den oberen Teil des Foramen intervertrebrale.
Experimentelle Untersuchungen belegen, daß bei Haltungskonstanz und asymmetrischer Kompression der Bandscheiben mit intradiskalen Massenverschiebungen zu rechnen ist. Letztere spielen in der Entstehung von Zervikalsyndromen eine wesentliche Rolle.
Bei langjährig wiederkehrender Belastung der HWS durch das Tragen
von schweren Lasten unter außergewöhnlicher Haltung des Kopfes
sind nicht nur die unteren Bewegungssegmente gefährdet. Zug- und Kompressionskräfte
im Bereich der Wirbelgelenkfacetten in Verbindung mit Seitverbiegung und
Verdrehung tragen dazu bei, daß insbesondere oberhalb von C5/C6 bis
zu C2/C3 degenerative Veränderungen beobachtet wurden, die in der
Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind.
Direkt oder indirekt von degenerativen Veränderungen der Halsbandscheiben ausgehende Krankheitszustände können zu einem Zervikalsyndrom führen. Dazu zählen vielfältige Beschwerdebilder wie schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, segmentale Nervenwurzelsymptome im Arm, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und Rückenmarksymptome. Eine systematische Einteilung der Zervikalsyndrome hat orientierenden Charakter. Es ist zu berücksichtigen, daß häufig viele Symptome gleichzeitig vorkommen.
Folgende bandscheibenbedingte Erkrankungen können unter den Regelungsbereich dieser Berufskrankheit fallen:
a) Lokales Zervikalsyndrom:
Auf die Halsregion beschränkte chronisch-rezidivierende Beschwerden,
die durch positionsabhängige Nacken- und Schulterschmerzen, Muskelverspannungen
und Bewegungseinschränkungen der HWS charakterisiert sind.
Pathomechanismus: Mechanische Irritation des hinteren Längsbandes, der Wirbelgelenkkapseln und des Wirbelperiosts durch degenerative Veränderungen im Bewegungssegment. Vorwiegend betroffen sind die sensiblen Fasern der Rami meningei und dorsales.
Differentialdiagnostisch sind u. a. abzugrenzen:
b) Zervikobrachiales Syndrom:
Von den Bewegungssegmenten C5-C6 ausgehende bandscheibenbedingte Brachialgien
(Schmerzen, Sensibilitätsstörungen oder motorische Ausfälle),
meistens in Verbindung mit Symptomen eines lokalen Zervikalsyndroms. Im
Vordergrund stehen Schmerzausstrahlung entlang der Dermatomstreifen.
Pathomechanismus: Irritation des Ramus ventralis des Spinalnerven durch einen dorsolateralen Diskusprolaps oder durch unkovertebrale Osteophyten in Verbindung mit Segmentlockerung.
Die Differenzierung der verschiedenen monoradikulären zervikobrachialen Syndrome erfolgt in erster Linie anhand klinischer Kriterien (Tabelle 1). Am häufigsten sind die Spinalnervenwurzeln C6 bis C8 betroffen.
Tabelle 1: Zervikale Wurzelreizsynclrome (nach Krämer 1986)
Nervenwurzel | Bandscheibe | Peripheres Dermatom | Kennmuskel | Reflexabschwächung |
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Deltoideus | Bizeps | |
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Daumen,
Teil des Zeigefingers |
Bizeps
Brachioradialis |
Bizeps
Radiusperiost |
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Zeige- und Mittelfinger,
Teil des Ringfingers |
Daumenballen
Trizeps Pronator teres |
Trizeps |
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Kleinfinger,
Teil des Ringfingers |
Kleinfingerballen
Fingerbeuger Interossei |
Trizeps |
c) Zervikozephales Syndrom:
Mit Kopfschmerzen, Schwindelattacken einhergehende Beschwerden durch
degenerative Veränderungen in den zervikalen Bewegungssegmenten, häufig
in Kombination mit einem lokalen Zervikalsyndrom.
Pathomechanismus: Kompression der Arteria vertebralis und Irritation des Halssympathikus.
Differentialdiagnostisch sind u. a. abzugrenzen:
Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der HWS ist anzunehmen, wenn Lastgewichte von 50 kg und mehr regelmäßig auf der Schulter getragen werden. Dies gründet sich auf epidemiologische Studien über das vermehrte Auftreten von Bandscheibenbedingten Erkrankungen der HWS, welche bei Transportarbeitern in Schlachthöfen gewonnen wurden, die Lastgewichte von 50 kg und mehr trugen. Das im Vergleich zum Merkblatt für die Berufskrankheit nach Nr. 2108 Berufskrankheiten-Verordnung höhere Lastgewicht begründet sich mit dem Umstand, daß auf der Schulter die Last achsennah einwirkt und der Hebelarm, der bei der Belastung der Lendenwirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten zu berücksichtigen ist, entfällt.
Langjährig bedeutet, daß 10 Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit nach den vorgenannten Kriterien zu fordern sind. In begründeten Einzelfällen kann es jedoch möglich sein, daß bereits eine kürzere, aber sehr intensive Belastung eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS verursacht.
Das genannte Lastgewicht muß mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen worden sein.
Vorübergehende und nach kürzerer Zeit therapeutisch beherrschbare akute Zervikalsyndrome erfüllen nicht die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit. Vielmehr müssen chronische oder chronisch rezidivierende Beschwerden und Funktionseinschränkungen bestehen, die therapeutisch nicht mehr voll kompensiert werden können und die den geforderten Unterlassungstatbestand begründen.
Zusammenfassend ergeben sich folgende Kriterien für die Annahme eines begründeten Verdachtes auf Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten auf dem Kopf und auf den Schultern:
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