Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin_

  Merkblatt zur BK Nr. 2108:  Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule 
durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten 
oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten
oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung
oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. des BMA, BArbBl 3/93 S. 50)

I. Gefahrenquellen

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) haben eine multifaktorielle Ätiologie. Sie sind weit verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den beruflichen Einwirkungen, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS wesentlich mitverursachen und verschlimmern können, sind fortgesetztes Heben, Tragen und Absetzen schwerer Lasten oder häufiges Arbeiten in extremer Beugehaltung des Rumpfes wichtige Gefahrenquellen. Derartige berufliche Belastungen der LWS können vor allem im untertägigen Bergbau, bei Maurern, Steinsetzern und Stahlbetonbauern, bei Schauerleuten, Möbel-, Kohlen-, Fleisch- und anderen Lastenträgern, bei Landwirten, Fischern und Waldarbeitern sowie bei Beschäftigten in der Kranken-, Alten und Behindertenpflege auftreten. Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil sind als Gefahrenquelle ebenfalls in Betracht zu ziehen. Eine zusätzliche Gefährdung geht von Arbeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung aus, wenn sie in verdrehter Körperhaltung durchgeführt werden.

Ein anderer bandscheibengefährdender Faktor im Arbeitsprozeß ist die Einwirkung mechanischer Ganzkörperschwingungen (vgl. BK-Nr. 2110).

Als konkurrierende Faktoren sind Fehlbelastungen der Lendenwirbelsäule durch außerberufliche Tätigkeiten im Sinne von Abs. 1, z. B. im Hausbau, bei schwerer Gartenarbeit sowie Land- und Forstwirtschaft zu beachten, sofern diese entsprechend den in Abschnitt IV gegebenen Hinweisen ebenso langjährig durchgeführt werden und mit dem Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sind. Weiterhin sind sportliche Aktivitäten mit Heben oder Tragen schwerer Lasten oder in extremer Rumpfbeugehaltung zu berücksichtigen.
 

II. Pathophysiologie

Die Zwischenwirbelabschnitte der unteren Lendenwirbelsäule sind beim Menschen schon während des gewöhnlichen Tagesablaufes erheblich belastet. Da die blutgefäßlosen Bandscheiben hinsichtlich ihrer Ernährung besonders von den Diffusionswegen abhängen, sind sie für mechanische Dauerbelastungen sehr anfällig. Anhaltende Kompressionsbelastung reduziert die druckabhängigen Flüssigkeitsverschiebungen und beeinträchtigt damit den Stoffwechsel im Bandscheibengewebe.

Durch Laktatakkumulation und ph-Verschiebung zu sauren Werten wird ein Milieu erzeugt, das zytolytisch wirkende Enzyme aktiviert. Damit werden degenerative Veränderungen eingeleitet oder beschleunigt. In diesem Milieu werden die restitutiven Prozesse gehemmt.

Unter Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten und Rumpfbeugehaltungen erhöht sich der intradiskale Druck um ein Mehrfaches. Nach intradiskalen Druckmessungen und biomechanischen Berechnungen können Kompressionskräfte erreicht werden, die im Experiment an menschlichen Wirbelsäulenpräparaten Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper sowie Einrisse am Anulus fibrosus der Bandscheibe verursachen.

Eingetretene Schäden am Bandscheibengewebe sind irreversibel. Sie setzen einen Prozeß in Gang, in dem Bandscheibendegeneration, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperschlußplatten, Massenverschiebungen im Bandscheibeninneren, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall, knöcherne Ausziehungen an den Randleisten der Wirbelkörper, degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke sowie durch derartige Befunde hervorgerufene Wirbelsäulenbeschwerden mit Funktionsstörungen in einem ätiopathogenetischen Zusammenhang zu betrachten sind.

Die pathophysiologischen Kenntnisse werden durch zahlreiche epidemiologische Studien gestützt, die belegen, daß mit ansteigender Wirbelsäulenbelastung die Häufigkeit bandscheibenbedingter Erkrankungen erheblich zunimmt. Solche Untersuchungen wurden insbesondere bei Lastenträgern im Hafenumschlag, in Schlachthöfen und im sonstigen innerbetrieblichen Transport durchgeführt (Schröter und Rademacher 1971, Mach et al. 1976, Yoke und Ann 1979, Luttmann et al. 1988). Ebensogut belegt ist der Zusammenhang zwischen Heben oder Tragen schwerer Lasten und der Häufigkeit von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule bei Maurern, Steinsetzern, Stahlbetonbauern und anderen Beschäftigten im Hoch- und Tiefbau (Yoshida et al. 1971, Häublein 1979, Damlund et al. 1982, Riihimäki 1985, Heliövaara 1987, Riihimäki et al. 1989).Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule konnte auch für Beschäftigte in der Krankenpflege, insbesondere bei Pflegehelferinnen gesichert werden (Videmann et al. 1984, Venning et al. 1987, Kaplan und Deyo 1988, Estryn-Behar et al. 1990). Für einen Überblick über die Literatur sei auf Andersson (1991) verwiesen.

Weiterhin ergaben epidemiologische Studien bei Beschäftigten, die beruflich in extremer Rumpfbeugehaltung arbeiten müssen, ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule. Solche Studien wurden bei Bergleuten durchgeführt, die unter Tage in Streben mit einer Höhe von < 100 cm tätig waren und dort häufig auch im Knien, Hocken und verdrehter Körperhaltung arbeiteten (Havelka 1980).Weitere Studien wurden bei Stahlbetonbauern im Hochbau durchgeführt, die häufig in extremer Rumpfbeugehaltung mit einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Haltung von 90° und mehr arbeiteten (Wickström et al. 1985).

III. Krankheitsbild und Diagnose

Folgende bandscheibenbedingte Erkrankungen können unter bestimmten Bedingungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht werden:

a) Lokales Lumbalsyndrom:
Akute Beschwerden (Lumbago) oder chronisch-rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend. Bei letzteren werden ein Belastungs-, ein Entlastungs- sowie ein Hyperlordose-Kreuzschmerz (Facettensyndrom) unterschieden. Möglich ist auch eine pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur.
Pathomechanismus: Mechanische Irritation des hinteren Längsbandes (z. B. durch intradiskale Massenverschiebung), der Wirbelgelenkkapsel und des Wirbelperiosts.

Drei Gesichtspunkte der Diagnosesicherung sind zu beachten:

Bei der Diagnostik eines lokalisierbaren Schmerzpunktes in einem Wirbelsäulensegment müssen auch die Bewegungsstörung, die Schmerzausstrahlung und die neurologische Irritation diesem Segment zugeordnet werden können, erst dann kann eine vertebragene Ursache angenommen werden. Die Differentialdiagnostik ist dringend erforderlich, um wirbelsäulenabhängige Beschwerden abzugrenzen von extravertebralen Ursachen.

b) Mono- und polyradikuläre lumbale Wurzelsyndromne ("Ischias"): Ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnerven folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms.

Weitere Leitsymptome sind: Positives Laségue-Zeichen, ischialgiforme Fehlhaltung, segmentale Sensibilitätsstörungen, Reflexabweichungen, motorische Störungen (vgl. Tab. 1).
 

 Tabelle 1: Leitsymptome bei lumbalen Wurzelsyndromen (nach Krämer 1986)
 
Segment Peripheres Schmerz- und Hypästhesiefeld Motorische Störung (Kennmuskel) Reflexabschwächung Nervendehnungszeichen
L1/L2 Leistengegend     (Femoralisdehnungsschmerz)
L3 Vorderaußenseite Oberschenkel Quadrizeps Patellarsehnenreflex
L4 Vorderaußenseite Oberschenkel, Innenseite Unterschenkel und Fuß Quadrizeps Patellarsehnenreflex positives Laségue-Zeichen
L5 Außenseite Unterschenkel, medialer Fußrücken, Großzehe Extensor hallucis longus positives Laségue-Zeichen
S1 Hinterseite Unterschenkel, Ferse, Fußaußenrand, 3.-5. Zehe Tricepes surae, Glutäen Achillessehnen Reflex positives Laségue-Zeichen


 

Pathomechanismus: Mechanische Irritation der Nervenwurzel L3-S1 durch degenerative Veränderungen der lumbalen Bandscheiben (Bandscheibenvorwölbung und -vorfall, Lockerung und Volumenänderung der Bandscheiben, Instabilität im Bewegungssegment, Randzacken an den Hinterkanten der Wirbelkörper).

Es kommen auch hohe lumbale Wurzelsyndrome (L1 und L2) infolge einer Kompression der ventralen Spinalnervenäste vor, sie sind insgesamt jedoch selten.

c) Kaudasyndrom:
Sonderform der polyradikulären lumbalen Wurzelsyndrome mit Reithose des Achillessehnenreflexes bei Schwäche der Wadenmuskeln, Schließmuskelinsuffizienzen von Blase und Mastdarm; auch Potenzstörungen kommen vor.

Bei höherliegender Läsion: Fuß- und Zehenheberparesen, Quadrizepsschwächen und Patellarsehnenreflexausfälle. In aller Regel handelt es sich beim bandscheibenbedingten Kaudakompressionssyndrom um ein akutes Ereignis.

Pathomechanismus: Medianer Massenprolaps bei L3/L4 oder L4/L5 mit Kompression aller Nervenwurzeln der Cauda equina.

Die Diagnose wird auf der Grundlage der Vorgeschichte, der klinischen (vorwiegend orthopädisch-neurologischen) und der radiologischen Untersuchung gestellt. Veränderungen im Röntgenbild wie eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes und eine Verdichtung der Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper (Osteochondrose) oder Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthrose) und Randwülste an den Wirbelkörpern (Spondylose) können auf bandscheibenbedingte Erkrankungen hinweisen. Ohne entsprechende chronisch-rezidivierende Beschwerden und Funktionseinschränkungen begründen sie für sich allein keinen Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit, da solche Veränderungen auch bei Beschwerdefreien nachweisbar sein können.

Bei der klinischen Untersuchung stehen Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung und ein orientierender neurologischer Status im Vordergrund. Gegebenenfalls sind weiterführende diagnostische Verfahren wie Elektromyographie, Myelographie, Computertomographie, Kernspintomographie oder Diskographie indiziert.

Auf eine sorgfältige Befunddokumentation ist zu achten (z. B. Meßblatt für die Wirbelsäule nach der Neutral-Null-Methode).

Differentialdiagnostisch sind u. a. abzugrenzen:
 

 
Vertebral Extravertebral
  • Angeborene oder erworbene Fehlbildungen der LWS
  • Spondylolisthesis
  • Spondylitis
  • Tumor (Metastase)
  • Osteoporose 
  • Fraktur
  • Kokzygodynie
  • Wirbelfehlbildungen
  • Idiopathische Wirbelkanalstenose
  • Fluorose (BK-Nr. 1308)
  • Morbus Paget
  • Morbus Bechterew
  • gynäkologische Krankheiten 
  • urologische Krankheiten
  • Krankheiten des Verdauungssystems
  • Hüftbedingte Schmerzen (Koxalgie)
  • Erkrankungen des Ileosakralgelenkes
  • Tumoren (z. B. retroperitoneal)
  • Spritzenschädigung
  • diabetische Neuropathie
  • arterielle Durchblutungsstörungen in den Beinen
  • Aortenaneurysma
  • statische Beinbeschwerden durch Fußdeformierungen, Achsenabweichungen oder Beinlängendifferenzen
  • Neuropathien
  • psychosomatische Erkrankungen
 

IV. Weitere Hinweise

Die Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule im Hinblick auf berufliche Entstehungsursachen stellt sich nicht selten als schwieriges Problem dar. Der wichtigste Grund dafür ist die Tatsache, daß degenerative Veränderungen der Wirbelsäule unabhängig vom Heben und Tragen schwerer Lasten häufig vorkommen.

Anhaltspunkte für den Begriff "schwere Lasten" sind die folgenden aus präventivmedizinischen Gründen festgelegten Lastgewichte:
 

Tabelle 2:
Lastgewichte, deren regelmäßiges Heben oder Tragen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule verbunden sind:
 

Alter 
Last in kg Frauen 
Last in kg Männer 
15 - 17 Jahre 
10 
15 
18 - 39 Jahre 
15 
25 
ab 40 Jahre 
10 
20 
Diese Werte gelten für Lastgewichte, die eng am Körper getragen werden. Bei weit vom Körper entfernt getragenen Gewichten, z. B. beim einhändigen Mauern von Steinen, können auch geringere Lastgewichte mit einem Risiko für die Entwicklung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule verbunden sein.

Langjährig bedeutet, daß 10 Berufsjahre als die untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit nach den vorgenannten Kriterien zu fordern sind. Hierfür sprechen epidemiologische Studien bei Bauarbeitern, bei denen in der Regel nach mehr als 10jähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen zu beobachten war (Häublein 1979). In begründeten Einzelfällen kann es jedoch möglich sein, daß bereits eine kürzere, aber sehr intensive Belastung eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule verursachen kann. Expositionszeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Zeiten mit Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung können für die Berechnung der Gesamtexpositionsdauer addiert werden. Dabei sind auch unterbrochene Tätigkeiten zu berücksichtigen.

Die o. g. Lastgewichte müssen jedoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehoben oder getragen worden sein, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Frage kommen zu können. Dies begründet sich mit den o. g. epidemiologischen Studien, die in den Berufsgruppen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten beschrieben, daß die Lastgewichte mit einer gewissen Regelmäßigkeit pro Schicht getragen wurden. Beispielsweise hatten Schwesternhelferinnen zu ca. 12% der Schicht Arbeiten mit Heben oder Tragen von schweren Lasten zu verrichten (Videman et al. 1984). Stahlbetonarbeiter hatten ca. 40mal pro Schicht Gewichte von mehr als 20 kg zu heben oder zu tragen (Wickström et al. 1985).

Unter Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung sind Arbeiten in Arbeitsräumen zu verstehen, die niedriger als 100 cm sind und damit eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwingen. Solche Arbeitsplätze existierten teilweise im untertägigen Bergbau (Havelka 1980).Weiterhin sind unter extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten gemeint, bei denen der Oberkörper aus der aufrechten Haltung um mehr als 90' gebeugt wird, beispielsweise bei Stahlbetonbauern im Hochbau (Wickström et al. 1985).Bislang liegen keine ausreichenden Studien darüber vor, daß für Arbeitsplätze in der Bodenbearbeitung im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie in Gärtnereien oder im Reinigungsdienst, die ebenfalls zeitweilig mit einer Rumpfbeugehaltung einhergehen, aus diesem Grund ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule besteht.

Erkrankungen bei Beschäftigten mit sitzender Tätigkeit sind nicht Gegenstand dieser Berufskrankheit.

Das akute Lumbalsyndrom mit guter Behandlungsmöglichkeit erfüllt nicht die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung als Berufskrankheit. Vielmehr müssen chronische oder chronisch-rezidivierende Beschwerden und Funktionseinschränkungen bestehen, die therapeutisch nicht mehr voll kompensiert werden können und die den geforderten Unterlassungstatbestand begründen.

Zusammenfassend ergeben sich folgende Kriterien für die Annahme eines begründeten Verdachtes auf das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung:

Die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit ist nicht Voraussetzung für die Anzeige als Berufskrankheit.

Der alleinige Nachweis von degenerativen Veränderungen wie Osteochondrose, Spondylose und Spondylarthrose ohne chronisch-rezidivierende Beschwerden und Funktionsausfälle begründet keinen Berufskrankheitenverdacht.

 

 V. Literatur



Gemeinsame Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen und Unfallversicherungsträger über          Kriterien für die Erstattung der Anzeige nach § 202 SGB VII bei den bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule/Halswirbelsäule (BK-Nr. 2108-2110) v. 20. Juni 1995 (HVBG VB 73/95 = HV-Info 23/1995,_1920)

         Gemäß § 202 SGB VII sind die Krankenkassen (KK) verpflichtet, jede mit Arbeitsunfähigkeit verbundene
         Krankheit eines Versicherten dem Unfallversicherungsträger (UV-Träger) unverzüglich anzuzeigen, sobald
         anzunehmen ist, daß es sich hierbei um eine Berufskrankheit handelt. Weder das Gesetz noch die BeKV definieren
         jedoch Kriterien, bei deren Vorliegen die KK berechtigt bzw. verpflichtet sind, die "Annahme" einer
         Berufskrankheit zu melden. Für die KK besteht zwar die generelle Verpflichtung, die UV-Träger beider
         Durchführung der Unfallversicherung zu unterstützen, jedoch sind sie nach § 11 Abs. 4 SGB V für
         Berufskrankheiten nicht eintrittspflichtig. Sofern im Fall einer Berufskrankheit Leistungen der KK bereits gewährt
         wurden, besteht Anspruch auf Erstattung nach den Vorschriften des SGB X.

         Die Merkblätter für die ärztliche Untersuchung zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 zur BeKV richten sich in
         erster Linie an die Ärzteschaft und geben Hinweise für die Erstattung der ärztlichen Verdachtsanzeige nach § 5
         BeKV, stellen indes wegen ihres sehr detaillierten Inhalts für die Verwaltungspraxis der KK ein kaum
         praktikables Instrumentarium zur Beurteilung der Anzeigepflicht nach § 202 SGB VII dar.

         Die Spitzenverbände der KK und UV-Träger sind übereingekommen, nach Auswertung erster Erfahrungen in der
         Verwaltungspraxis zunächst für die BK-Ziffern 2108 bis 2110 durch eine gemeinsame Empfehlung die
         Zusammenarbeit zu erleichtern, unnötige Feststellungsverfahren der UV-Träger zu vermeiden und das
         Meldeverfahren im Sinne des Gesetzgebers systematisch zu optimieren.

         Unter Berücksichtigung von

             A. Diagnose/Krankheitsbild
             B. Chronizität des Leidens
             C. schädigender Tätigkeit/Beruf

         - wobei sämtliche Kriterien im Einzelfall kumulativ erfüllt sein müssen - informieren die KK die UV-Träger im
         Sinne des § 202 SGB VII über einschlägige Krankheitsfälle.
 
         Für die Anzeige nach § 202 SGB VII bei den BK-Ziffern 2108 bis 2110 ist der als Anlage beigefügte Vordruck zu
         verwenden.

Schlußbemerkung

Bei Eingang einer Anzeige nach § 202 SGB VII leitet der UV-Träger ein Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit ein. Nach dessen Abschluß wird die KK unaufgefordert und unverzüglich vom UV-Träger über den Ausgang unterrichtet. Während der Laufzeit des Verfahrens gibt der UV-Träger auf Anfrage der KK auch eine entsprechende Sachstandsmitteilung. In anderen Fällen unterrichtet der UV-Träger die KK unaufgefordert auch bei Einleitung eines Feststellungsverfahrens.

Soweit sich im Laufe eines Anerkennungsverfahrens herauskristallisiert, daß mit einer positiven Entscheidung zu rechnen ist, übernimmt der UV-Träger von diesem Zeitpunkt an auch vor der formellen Entscheidung die Leistungsgewährung (vgl. hierzu das "Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der KK und UV-Träger vom 30.November 1990 zum Inkrafttreten des § 11 Abs. 4 SGB V" sowie das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen und UV-Träger vom 8. Februar 1994 = VB 95/90).

Die Spitzenverbände der Krankenkassen und Unfallversicherungsträger werden nach einer angemessenen Laufzeit zu dieser gemeinsamen Empfehlung einen Erfahrungsaustausch durchführen.

 

  A: Diagnose/Krankheitsbild

  1. Lokales Lumbalsyndrom, LWS-Syndrom. Lumboischialgie (akute Beschwerden - Lumbago - oder chronischrezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend)
  2. Mono- und polyradikuläre lumbale Wurzelsyndrome, radiculäres Syndrom, pseudoradiculäres Syndrom (Ischias)
  3. Kaudasyndrom

Sofern der KK bekannt ist, daß das Leiden psychosomatisch verursacht ist oder ausschließlich eines der nachfolgenden Krankheitsbilder vorliegt, soll eine Meldung nicht erfolgen:

B: Chronizität des Leidens
ist gegeben bei z. B. langer oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit, länger dauernder Behandlungsbedürftigkeit oder Bandscheibenoperation. Sie ist insbesondere dann anzunehmen, wenn in einem Zeitraum von 5 Jahren häufiger als viermal (bis zu 4 Wochen) oder mindestens dreimal (davon mindestens einmal mehr als 4 Wochen) Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Wurde eine stationäre Behandlung durchgeführt, ist jeweils von einer Arbeitsunfähigkeit weniger auszugehen.

C: Schädigende Tätigkeit/Beruf
Schädigende berufliche Belastungen kommen vor im untertägigen Bergbau, bei Maurern, Steinsetzern, Stahlbetonbauern, Schauerleuten, Möbel-, Kohlen-, Fleisch-, und anderen Lastenträgern sowie bei Landwirten, Fischern, Waldarbeitern und Beschäftigten in der Kranken-, Alten- und Behindertenpflege.
 
 

Wir haben das Merkblatt für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen.  
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten. 
Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.

 


© E.Münzberger 
Letzte Überarbeitung: 3.3.1999