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Universität Rostock - Medizinische
Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin _
Merkblatt zur BK Nr. 2106: |
Druckschädigung der Nerven
Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2106 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV):
Bundesarbeitsblatt 11/2002, S. 62
I. Vorkommen und Gefahrenquellen Eine arbeitsbedingte Druckschädigung eines Nerven im Sinne dieser Berufskrankheit setzt wiederholte mechanische und durch Druck schädigende Einwirkung voraus. Betroffen sind einerseits Nerven, die einer von außen kommenden anhaltenden Einwirkung gut zugänglich sind, andererseits Nerven, die wiederholten mechanischen Einwirkungen aufgrund einer anatomischen Enge nicht genügend ausweichen können, z.B. über einer knöchernen Unterlage, innerhalb eines knöchernen oder fibrösen Kanals (z.B. Sulcus-ulnaris-Syndrom) oder an Sehnenkreuzungen. Es können sowohl motorische als auch sensible Nerven oder Nervenanteile geschädigt werden. Als Gefahrenquellen sind bekannt:
Es bestehen Hinweise auf vermehrt betroffene Berufsgruppen, z.B. Berufsmusiker, Schleifer, Metzger, Lebensmittelhändler, Beschäftigte in der Tiefkühlkostherstellung, Supermarktkassiererinnen und Bodenreiniger. Zusätzlich gibt es zahlreiche Hinweise auf bestimmte schädigende berufliche Expositionsfaktoren (z.B. großer Kraftaufwand bei Greifbewegungen, repetitive Bewegungen im Handgelenk, gebeugtes bzw. überstrecktes Handgelenk). Diese Expositionsfaktoren treten in den untersuchten Berufsgruppen vermehrt auf, sind aber auch bei einer Vielzahl anderer Tätigkeiten zu finden. Schäden können auch durch das Ausüben bestimmter Sportarten hervorgerufen werden. Dies ist sowohl von ätiologischem Interesse als auch hinsichtlich der berufsmäßigen Ausübung bestimmter sportlicher und artistischer Tätigkeiten zu beachten (z.B. Radfahrer, Golfer, Kegler, Reiter). Im Weiteren werden nur diejenigen Druckeinwirkungen betrachtet, die aufgrund ihrer Charakteristik einen diagnostizierbaren und evtl. bleibenden Nervenschaden hervorrufen. Nicht Gegenstand dieser Berufskrankheit sind akute traumatische Nervenschädigungen, das Karpaltunnel-Syndrom (CTS) sowie Nervenschäden durch bestimmte Erkrankungen, die über andere Berufskrankheiten erfasst sind (z.B. bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- oder Lendenwirbelsäule oder Nervenschädigungen durch toxische Substanzen). II. Pathophysiologie Kennzeichnend für das Vorliegen einer Berufskrankheit gemäß dieser Begründung ist eine eindeutige Beziehung zwischen der Lokalisation des einwirkenden Drucks und dem anatomisch zuzuordnenden klinisch-neurologischen Befund. Jede Druckschädigung am peripheren Nerv beginnt mit einem reversiblen Leitungsblock durch umschriebene funktionelle Veränderungen an den Markscheiden (Neurapraxie); die elektrische Erregbarkeit des Nerven bleibt distal der Läsion erhalten. Bei chronischem oder intermittierendem Weiterwirken der Druckbelastung kommt es jedoch zum umschriebenen Untergang der Myelinscheide (segmentale Demyelinisierung), dem nosologisch typischen Stadium. Gleichzeitig oder später kann es zur Kontinuitätsunterbrechung von Axonen und endoneuralen Strukturen bei erhaltener Nervenhülle (Axonotmesis) kommen. Eine komplette Durchtrennung von Nervenfasern und Nervenhülle (Neurotmesis) ist nicht zu erwarten. Mehrfachen und unterschiedlich lokalisierten Einwirkungen auf den Nerven, sog. Double-Crush-Syndromen, wird ein kumulativer Effekt zugeschrieben: Ein geringfügiger proximal lokalisierter Druck, der allein nicht ausreicht, um einen Schaden zu verursachen, kann die Empfindlichkeit der distal gelegenen Nervenanteile gegenüber Druck deutlich erhöhen. III. Krankheitsbilder und Diagnosen Das typische pathophysiologische und klinische Bild einer durch Druck verursachten Nervenschädigung ist ein Nebeneinander von segmentaler De- und Remyeliniserung. Betroffen sein können die Nervenwurzel, ein Plexusbereich (z.B. Plexus cervicalis, Plexus brachialis, Plexus lumbo-sacralis) und periphere Nerven. Isolierte Ausfälle peripherer Nerven (Mononeuropathien) haben nahezu immer mechanische Ursachen. Störungen im peripheren motorischen Neuron führen zum Syndrom des schlaffen Lähmungstyps, dessen Symptomatik vom Umfang und Schweregrad der Schädigung abhängig ist. Frühsymptome sind Reizerscheinungen, Sensibilitätsstörungen und Kraftminderung in den betroffenen Regionen. Bei fortgeschrittener Schädigung sind Muskelatrophien und ausgeprägte Paresen oder Paralysen zu beobachten. Bei Druckschädigungen von Nerven werden typischerweise schon in frühen Stadien anamnestische Angaben über "Kribbeln, pelziges Gefühl, Ameisenlaufen, eingeschlafener Körperteil etc." oder "allgemeines Ermüdungsgefühl" gemacht. Ebenfalls schon früh werden Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nerven angegeben. Diese treten häufig auch in Ruhe und nachts auf und können über den unmittelbar schädigenden Druckbereich hinausgehen. Typischerweise finden sich bei diesen Nervenläsionen auffällige elektroneurographische und elektromyographische Befunde; besonders kennzeichnend ist eine herabgesetzte Nervenleitgeschwindigkeit. Folgende Sensibilitätsstörungen sind zu unterscheiden:
Meist bestehen Reiz- und Ausfallsymptome sowie trophische Störungen nebeneinander. Partielle Leitungsstörungen sind bei arbeitsbedingten Druckschädigungen kaum zu erwarten. Bei Plexusschäden oder Läsionen peripherer Nerven, die auch autonome Fasern führen, ist auch mit Reiz- oder Ausfallserscheinungen der vegetativen Innervation zu rechnen. Eine vollständige Unterbrechung eines peripheren Nerven verursacht dann beispielsweise eine Anhidrose. Die Symptome sind auf das Versorgungsgebiet des jeweiligen Nerven begrenzt und besitzen somit hohe diagnostische Bedeutung. Zu beachten ist, dass die Symptomatik aufgrund der histologisch nachweisbaren Markscheidenveränderungen über den Bereich der unmittelbaren Druckwirkung hinausreichen kann. Mögliche Symptome bei druckbedingten Nervenschäden sind ohne wertende Reihung nachfolgend aufgelistet:
Nachstehend werden beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit für betroffene Nerven (N) die typischen morphologischen Schädigungsmöglichkeiten, ggf. mit Hinweisen auf anatomische Varianten (V), und bekannte arbeitsbedingte Belastungen (B) sowie ggf. bestimmte Krankheitsbilder aufgelistet:
IV. Weitere Hinweise Beim Zusammenwirken von arbeitsbedingten und nicht arbeitsbedingten Faktoren muß deren jeweilige Bedeutung abgewogen werden. Die wichtigsten differentialdiagnostischen Erwägungen sind nachstehend aufgeführt:
Eine sorgfältige Einzelfallprüfung auf objektivierbare und reproduzierbare neurologische und neurophysiologische Parameter, differentialdiagnostische Überlegungen sowie eine sorgfältige Arbeitsanamnese sind unentbehrlich, um eine eindeutige Diagnose vor allem im Hinblick auf eine arbeitsbedingte Ursache stellen zu können. Der elektroneurographische Nachweis einer Veränderung der peripheren Nervenleitfähigkeit ist dabei in der Regel unverzichtbar. Die Expositionsvermeidung mit Ausschaltung der schädigenden Druckbelastung ist für die Heilung bzw. für die Besserung der Symptome unerläßlich.
V. Literatur Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - BMA
(Hrsg.): |
Wir haben das Merkblatt für
Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen.
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Webmaster Letzte Überarbeitung: 06.11.09 |