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Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin
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Merkblatt zur BK Nr. 1303: Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol
 

Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol
Merkblatt zu BK Nr. 4 der Anl. 1 zur 7. BKVO
(Bek. des BMA v. 24. 2.1964, BArbBl Fachteil Arbeitsschutz 1964, 30)

I. Vorkommen und Gefahrenquellen

Benzol (C6H6) und seine technisch besonders bedeutsamen Homologen, wie Toluol (C6H5CH3) und Xylol (C6H4[CH3]2, sind in manchen Rohölen und daraus hergestellten Benzin und Petroleum enthalten. In größerem Umfange gewinnt man sie durch Destillation von Steinkohlenteer in Kokereien und Gasanstalten. Sie werden als Extraktions-, Entfettungs-, Reinigungs- und Lösemittel sowie beim Lackieren im Tauch-, Streich- und Spritzverfahren, zur Lack- und Farbentfernung und zum Abbeizen verwendet; auch bei der Herstellung von Kunststoffen und Putzmitteln, als Lösemittel für Druckfarben und Gummi, zum Vulkanisieren, zum Kleben, z. B. von Schuhen und Booten, als Ausgangsmaterial für chemische Synthesen sowie in Brenn- und Treibstoffgemischen benötigt man Benzol oder seine Homologen.

Oft sind diese auch in Mitteln enthalten, deren Bezeichnung (Handelsname) nicht hierauf schließen läßt.

Benzol als Handelsprodukt (z. B. Lösungsbenzol) ist fast immer ein Gemisch. Häufig enthalten die im technischen Bereich verwendeten Homologen des Benzols zudem reines Benzol.

Reines Toluol und reines Xylol sind von geringerer Flüchtigkeit als Benzol und auch bei längerer Einwirkungszeit im Organismus weniger toxisch als dieses.

Vinylbenzol (C6H5-CH-CH2) - Styrol - gehört nicht zu den Homologen des Benzols.

II. Aufnahme und Wirkungsweise

Die Aufnahme erfolgt überwiegend durch Einatmung der Dämpfe; der perkutanen Resorption kommt keine wesentliche Bedeutung zu.

Ein großer Teil des aufgenommenen Benzols wird chemisch unverändert ausgeatmet, der Rest im Organismus hauptsächlich zu Phenol, aber auch zu Brenzkatechin und Hydrochinon oxydiert und mit Schwefel- oder Glukuronsäure gepaart über die Harnwege ausgeschieden. Den Phenolstufen des Benzolabbaues wird die besondere Giftwirkung zugeschrieben.

Die Homologen des Benzols werden nicht zu Phenolen, sondern zu Phenylalkoholen oxydiert und nach Paarung, z. B. mit Glyzin als Hippursäure, eliminiert.

Benzol und seine Homologen sind leicht lipoidlöslich. In großen Mengen aufgenommen bewirken sie durch Anreicherung im Gehirn Erregungszustände (Benzolrausch) und schließlich Narkose. Die Einatmung hochkonzentrierter Benzoldämpfe kann in wenigen Minuten zum Tode führen. Die Einwirkung kleinerer Mengen über einen längeren Zeitraum kann zu schwerer Schädigung des blutbildenden Systems (Knochenmark u. a.) und der Kapillaren führen. Dies gilt für Benzol, nicht aber für die Homologen des Benzols, was durch den obengenannten andersartigen Abbau im Organismus zu erklären ist.

III. Krankheitsbild und Diagnose

Bei der akuten Vergiftung stehen Erregungszustände (Benzolrausch) und schließlich eine oft lang anhaltende Narkose im Vordergrund des Krankheitsbildes. Muskelzuckungen, Krämpfe, Kreislaufschwäche und Atemlähmung können auftreten.

Die langzeitige Einwirkung kleinerer Dosen kann zu einer chronischen Erkrankung führen. Hierfür können Mattigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Magen-Darmstörungen Leitsymptome sein. Als Ausdruck der Schädigung des hämatopoetischen Systems sind rote und weiße Blutzellen sowie die Blutplättchen gemeinsam, nacheinander oder isoliert, insbesondere quantitativ, verändert. Isolierte Thrombopenie oder Zunahme des Erythrozytenvolumens ist evtl. ein Frühzeichen der Erkrankung. Während eine Leukopenie (Granulozytenabfall) und dadurch bedingt eine relative Lymphozytose schon sehr früh nachgewiesen werden kann, treten Anzeichen einer Anämie erst Wochen bis Monate später auf. Auch Agranulozytosen, überschießende Reaktionen und Leukämien wurden beobachtet. Es ist eine durch Gefäßwandschädigungen bedingte hämorrhagische Diathese vorhanden. Haut- und Schleimhautblutungen, insbesondere aus Nase, Zahnfleisch und Uterus, sowie Blutungen an Augenhindergrund sind möglich.

Durch zusätzliche Belastungen des Organismus, z. B. durch Infektionskrankheiten, Blutverlust, Gravidität u. a., ist sowohl die Gefahr des Manifestwerdens der Erkrankung als auch deren Verschlimmerung gegeben.

Bei langzeitiger Einwirkung der Homologen des Benzols in den Organismus fehlen die erwähnten Schädigungen der Blutbildungsstätten. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit, Brechreiz, allgemeine Abgeschlagenheit sowie Alkoholintoleranz können vorkommen. Diese Symptome klingen jedoch nach Wegfall der Exposition schnell ab.

IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung

Die Diagnose der chronischen Erkrankung durch Benzol stützt sich auf Arbeitsanamnese, klinischen und hämatologischen Befund.
Selbst längere Zeit nach Wegfall der Benzolexposition können noch Blutbildveränderungen auftreten; Spätrezidive nach scheinbarer Ausheilung sind möglich.
 
 

 
 


Ergänzung zum Merkblatt Nr. 1303

(zu:  Erkrankungen durch Styrol)

(Bek. des BMA v. 22. 8. 1994, BArbBl. 10/94 S. 139 f.)


I. Vorkommen und Gefahrenquellen

Styrol (Styren, Vinylbenzol) ist eine farblose, stark lichtbrechende Flüssigkeit mit aromatischem Geruch. Von überragender Bedeutung ist sein Einsatz in der Polystyrol- und Polyesterherstellung (ca. 90 %) sowie als Ausgangsstoff für die Produktion von synthetischem Gummi. Als Lösungsmittel findet sich Styrol z. B. bei Laminierungsverfahren.

Der Styrolanteil des am häufigsten eingesetzten ungesättigten Polyesterharzes (UP-Harz) beträgt je nach Herstellungsart und Verwendungszweck zwischen 30 und 50%. Die UP-Harze sind flüssige und feste Stoffe, die durch Polymerisation zu festen, unschmelzbaren Produkten führen. Überwiegend wird Polyesterharz zur Herstellung von Platten und Behältern, aber auch z. B. von Steinimitationen und Fahrzeugteilen eingesetzt. Wesentliche Herstellungsverfahren sind die Laminier-, Wickel-, Preß-, Gieß- und Spritztechnik.

Bei Temperaturen von über IOO° C kann durch Depolymerisation Styrol wieder freigesetzt werden. Diese Temperaturen können sowohl bei Erwärmung, aber auch schon bei mechanischer Bearbeitung von Polyester- und Polystyrolprodukten erreicht werden. Bei einer Reihe von Verfahren kann es zu hohen Styrolkonzentrationen mit Grenzwertüberschreitung in der Luft am Arbeitsplatz kommen, z. B. bei der Herstellung von Produkten aus glasfaserverstärkten Polyesterharzen (u. a. Behälter, Platten, Sportboote), beim Wickeln im Behälterbau, beim Aufbringen von Kunstharzböden im Gießverfahren und bei der Oberflächenveredlung mittels Spritztechnik.

II. Pathophysiologie

Am Arbeitsplatz kommt der inhalativen Aufnahme die größte Bedeutung zu. Aus der Alveolarluft diffundiert Styrol sehr schnell in die Blutbahn. Die perkutane Aufnahme von Dämpfen ist zu vernachlässigen, flüssiges Styrol dagegen wird in beträchtlicher Menge perkutan aufgenommen. Nur 2 bis 3 % des absorbierten Styrols werden unverändert exhaliert. Der überwiegende Anteil wird metabolisiert, hauptsächlich in der Leber. In der ersten Stufe des Hauptstoffwechsels wird das sehr reaktionsfähige Styrol-7,8oxid (Phenyloxiran) gebildet, katalysiert durch mikrosomale Monooxygenasen. Styrol-7,8-oxid wird enzymatisch zu Phenylglykol (1-Phenylethan-1,2-diol) hydratisiert. Phenylglykol wird entweder mit Iso-Glucuronsäure konjugiert, oder aber es wird oxidiert zu Mandelsäure und weiter zu Phenylglyoxylsäure und schließlich mit dem Harn ausgeschieden.

III. Krankheitsbild und Diagnose

Die akute Intoxikation ist durch Reizung der Bindehaut der Augen und der Schleimhaut des oberen Atemtraktes sowie zentralnervöse Störungen gekennzeichnet. Anzeichen sind pränarkotische Symptome wie Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerz, Ermüdung, Konzentrationsschwäche und Verwirrung.

Flüssiges Styrol begünstigt durch Entfettung der Haut Entzündungen und Ekzeme.

Die langzeitige Einwirkung von Styrol kann dosisabhängig zu einer Schädigung des zentralen und peripheren Nervensystems führen. Symptome sind verstärkte Müdigkeit, Nachlassen von Merkfähigkeit und Initiative, Konzentrationsstörungen, körperliche Mißempfindungen und Kopfschmerz. Neben diesen subjektiven Beschwerden kommt es zu einer Leistungsminderung, die sich mit psychodiagnostischen Testverfahren dokumentieren läßt. Effekte auf die Okulomotorik, Farbsinnstörungen und Veränderungen im EEG sind möglich (organisches Psychosyndrom). Infolge der Schädigung des peripheren Nervensystems kann eine Verlangsamung der sensiblen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit auftreten. Weiterhin wurden distale Sensibilitätsstörungen überwiegend der unteren Extremitäten beschrieben (Polyneuropathie).

IV. Weitere Hinweise

Das Erscheinungsbild der Erkrankung durch Styroleinwirkung ist unspezifisch. Daher ist für die ärztliche Beurteilung die Arbeitsanamnese von besonderer Wichtigkeit. Zur Überprüfung der beruflichen Exposition sollte neben Messungen der Luftkonzentration am Arbeitsplatz ggf. die Ausscheidung der Hauptmetaboliten Mandelsäure und Phenylglyoxylsäure im Harn herangezogen werden (Biomonitoring).

Alkoholkonsum verstärkt die Wirkung von Styrol, verändert die Metabolitenkonzentration und verzögert deren Ausscheidung.

Bei langjähriger Einwirkung hoher Styrolkonzentrationen wurden erhöhte Plasmaenzymaktivititäten beobachtet (Leberparameter: GOT, GPT, g-GT, OCT, AP). Die Abgrenzung des Einflusses konkurrierender außenberuflicher Faktoren wie Alkoholkonsum oder Stoffwechselstörungen ist mitunter schwierig, kann aber mit Hilfe des Biomonitoring vollzogen werden. Diese Faktoren müssen deshalb alle sorgfältig ermittelt werden.

Bei Styrolexposition ist häufig eine gleichzeitige Einwirkung von anderen Lösungsmitteln wie z. B. Ethylbenzol und in geringem Maße von Benzol zu berücksichtigen (vorwiegend bei der Herstellung von Polyesterprodukten), zusätzlich je nach Technologie auch von Dichlormethan (Methylenchlorid) oder Propanon (Aceton). Das Krankheitsbild kann daher durch die Wirkung anderer Bestandteile der Lösungsmittelgemische mitbestimmt sein.
 

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Letzte Überarbeitung: 1.3.1999