Universität Rostock - Medizinische Fakultät

Institut für Arbeitsmedizin
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Merkblatt zur BK Nr. 1109:
Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen  
 
 

Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen
 (Bek. des BMA v. 25.2.1981 im BArbB1 Heft 4/1981)

 
 

Phosphor kommt in mehreren allotropen Modifikationen vor, die sich in ihren Eigenschaften stark voneinander unterscheiden. Gegenüber der weißen (gelben) Modifikation des Phosphors sind die anderen Phosphormodifikationen wesentlich weniger reaktionsfähig und bei weitem nicht so giftig.

Weißer Phosphor ist eine wasserunlösliche, jedoch in Fetten und Ölen leicht lösliche, farblose bis gelbliche, wachsähnliche Masse von stechend knoblauchähnlichem Geruch. Bereits bei Zimmertemperatur kann er an der Luft unter Bildung von weißem Rauch (Phosphorpentoxid) oxidiert werden (Autoxidation). Die dabei stattfindende Wärmeentwicklung führt bei ca. 50° C zur Selbstentzündung. Wegen dieser Eigenschaften muß der weiße Phosphor mit Wasser bedeckt gelagert oder transportiert werden. Das sich beim Verbrennen von elementarem Phosphor bildende Phosphorpentoxid verbindet sich mit Wasser (Luftfeuchtigkeit) zu Phosphorsäure (H3PO4). Wird der elementare Phosphor unter Luftabschluß erhitzt, so entsteht aus dem weißen Phosphor roter oder violetter, der sowohl in Wasser als auch in den meisten Lösemitteln unlöslich ist.

Roter Phosphor ist ein nicht flüchtiges, geruch- und geschmackloses Pulver. Er reagiert mit Oxidationsmitteln, z. B. in Gegenwart von Wasser. Er ist explosionsfähig in Mischung mit brandfördernden Verbindungen wie Chloraten, Chromaten und Permanganaten. Roter Phosphor entzündet sich an der Luft bei etwa 300° C. Reibung oder Schlag genügen jedoch, um die Entzündung herbeizuführen.

Phosphor kommt in der Natur überwiegend in den Mineralien Phosphorit und Apatit sowie in anderen Phosphaten vor.
Anorganische Phosphorverbindungen sind u. a.
Phosphoroxichlorid (POC13)
Phosphortrichlorid (PC13)
Phosphorpentachlorid (PC15)
Phosphorsesquisulfid (P4S3)
Phosphorwasserstoff (Phosphin  PH3)
Letzterer ist ein farbloses Gas mit einem Geruch nach faulendem Fisch, Karbid oder auch Knoblauch.

I. Gefahrenquellen

Gewinnung von elementarem Phosphor, Verwendung in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, Herstellung und Anwendung von Phosphorbronze, Herstellung von Feuerwerkskörpern (Pyrotechnik), Waffen (Brandbomben) sowie Herstellung und Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln.

Phosphorwasserstoff kann bei der Herstellung von elementarem Phosphor und Phosphiden (anorganische Phosphorverbindungen), bei der Zersetzung von Karbid und bei Einwirkung von Feuchtigkeit auf phosphorhaltiges Ferrosilizium entstehen. Eine Gefährdung besteht auch durch phosphorcalziumverunreinigtes Karbid, sofern Acetylen noch aus Calziumkarbid hergestellt wird. Acetylen, wie es z. B. beim Autogenschweißen verwendet wird, wird heute vorwiegend petrochemisch hergestellt. Dieses Acetylengas impliziert nicht das Risiko einer Phosphorwasserstoffintoxikation.

Eine Gefährdung besteht auch bei der Herstellung und Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf der Basis von Metallphosphiden, speziell Zinkphosphid.

Phosphorchlorverbindungen werden als Chlorierungs- und Phosphorylierungsmittel in der synthetischen Chemie eingesetzt. Bei betrieblichen Zwischenfällen kann es zu unerwarteten akuten Expositionen kommen.

Phosphorschwefelverbindungen werden in Reibflächen von Streichholzschachteln verarbeitet, so daß bei deren Herstellung eine Gefährdung besteht.

Anorganische Phosphate sind auch in künstlichen Düngemitteln enthalten (Superphosphat, Nitrophoska). Bei ordnungsgemäßer Anwendung derartiger Düngernittel ist jedoch eine Gefährdung nicht gegeben.

Erkrankungen durch Thomasphosphat, das u. a. als Düngemittel Verwendung findet, sind unter der BK Nr. 4108 erfaßt.
 

II. Pathophysiologie

Die Giftwirkung von weißem oder gelbem Phosphor beruht auf dessen langsamer Oxidation mit starker Reduktionsaktivität und Hemmung enzymatisch gesteuerter Stoffwechselvorgänge (intrazellulärer Oxidationsvorgänge) vor allem in der Leber.

Einwirkung von Phosphordämpfen oder -rauchen verursacht schwere Reizung der Nasen- und Rachenschleimhäute sowie der oberen und tieferen Atemwege und der Augenbindehäute sowie der Haut u. a. durch aktiven Sauerstoff. Durch Endothelschädigung der Knochengefäße treten Veränderungen am Knochen auf.

Resorption, vor allem durch intakte oder verletzte Haut (Brandwunden) oder bei Verschlucken, fährt zu MagenDarm-Symptomatik und ggf. schweren Leber- und Nierenschäden.

Phosphorwasserstoff als anorganische Phosphorverbindung ist ein starkes Stoffwechselgift mit besonderer Affinität zum Zentralnervensystem. Die Aufnahme erfolgt durch Inhalation oder durch die Bildung von Phosphorwasserstoff im Magen-Darm-Kanal, z. B. nach Verschlucken von Metallphosphiden.

III. Krankheitsbild und Diagnose

Das akute Vergiftungsbild nach Einatmen von Phosphordämpfen und/oder Phosphorrauch ist durch Reizerscheinungen an den Schleimhäuten der Augen sowie der oberen und tieferen Atemwege gekennzeichnet: Konjunktivitis mit ungewöhnlicher Lichtempfindlichkeit, Rhinitis, Hustenreiz.

In besonders kritischen Fällen kommt es zu Kreislaufkollaps und toxischem Lungenödem.

Hautkontakt führt zu starken Schmerzen an den benetzten Hautpartien und bis zu schweren Verbrennungen mit schlechter Heilungstendenz.

Nach oraler Aufnahme können schwere gastrointestinale Störungen mit abdominellen Schmerzen und Erbrechen auftreten. Kreislaufkollaps oder Schock mit tödlichem Herz-Kreislauf-Versagen innerhalb von Stunden ist - möglich. Andere Verläufe sind durch eine Latenzperiode von 1 - 3 Tagen mit relativem Wohlbefinden nach ersten gastrointestinalen Beschwerden gekennzeichnet. Dann können Zeichen einer schweren Leberschädigung (bis zur akuten gelben Leberdystrophie) auftreten mit Leberkoma, hämorrhagischer Diathese und Hypoglykämie; außerdem sind schwere Beeinträchtigung der Nierenfunktion mit Oligurie, Albuminurie und Hämaturie möglich. Als Dauerschäden sind Lebercirrhosen beobachtet worden. Die chronische Vergiftung durch elementaren Phosphor ist, außer durch Appetitstörungen, Müdigkeit, allgemeine Schwäche, Verdauungsstörungen und Abmagerung sowie Haut- und Schleimhautblutungen, vor allem durch schmerzhafte Knochendegenerationsprozesse (Osteoporose) mit gleichzeitiger oder vorhergehender Verdickung des Periosts und Hyperostosen gekennzeichnet. Bei jüngeren Personen sind quergestreifte Verkalkungen in den Epiphysenlinien beobachtet worden.

Knochen in der Nähe von Schleimhäuten (z. B. Kieferknochen) sind infektionsgefährdet. Hier treten nicht selten schwere chronische Osteomyelitiden mit Sequesterbildung auf ("Phosphornekrosen").

Nach massiver Inhalation von rotem Phosphorstaub, der Verunreinigungen durch gelben Phosphor enthalten kann, ist eine toxische Pneumonie möglich. Mit gelbem Phosphor verunreinigter roter Phosphor kann auch das beschriebene Bild der chronischen Phosphorvergiftung verursachen.

Die Diagnose läßt sich durch eine "Phosphorlumineszenz" von Urin und Erbrochenem erhärten, bei akuten und chronischen Vergiftungen durch Leber- und Nierendiagnostik sowie durch Nachweis der beschriebenen Knochenveränderungen im Röntgenbild.

Anorganische Phosphorverbindungen (Phosphorchlorverbindungen und Phosphorschwefelverbindungen) sind flüssige (Dampf) oder feste (Staub) Reizstoffe, die zu entsprechenden Reaktionen an den Schleimhäuten von Augen, Nase oder Mund, aber auch an denen der oberen und tieferen Atemwege führen können. Vor allem auf Phosphorschwefelverbindungen sind toxische Hautreaktionen bekanntgeworden.

Besonders toxisch ist der gasförmige Phosphorwasserstoff. Akute Intoxikationen mit hohen Dosen sind meist tödlich (apoplektiformes Vergiftungsbild). In geringeren Dosen treten Vergiftungserscheinungen seitens der Atemorgane und des Herz-Kreislauf-Systems mit Brustschmerzen, Zyanose, Atemnot und Tachykardie auf. Kopfschmerzen, Schwitzen, Schweißausbrüche, Ohrensausen, Erregungszustände, Muskelsteifigkeit, Schwindelerscheinungen, Gangstörungen und Bewußtlosigkeit können ebenfalls auftreten. Besonders gefährlich ist das toxische Lungenödem.

Wird das akute Vergiftungsstadium überlebt, so können nach einer Latenzzeit von wenigen Tagen auch Leber- und Nierenschäden auftreten.
 

IV. Weitere Hinweise

Phosgen (COCl2) ist keine Phosphorverbindung, sondern ein chemisch-irritativ oder toxisch wirkendes Gas, das bei der thermischen Zersetzung chlorierter Kohlenwasserstoffe entstehen kann. Akute Vergiftungen durch Phosgen sind als Arbeitsunfälle anzusehen; chronische Schäden im Sinne obstruktiver Atemwegserkrankungen fallen unter die BK Nr. 4302.
 

V. Literatur

Kühn, R., Birett, K.: Merkblätter Gefährliche Arbeitsstoffe, Verlag moderne Industrie, W. Dummer & Co., München, 1979.

Ullmann: Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Auflage, Verlag Chemie, Weinheim, 1979.

Römpp: Chemielexikon, Verlag Chemie, Weinheim, 1979.

Valentin, H., Lehnert, G., Petry, H., Weber, G., Wittgens, H., Woitowitz, H. J.: Arbeitsmedizin, Bd. 2: Berufskrankheiten, 2. Auflage, Verlag Georg Thieme, Stuttgart. 1979.
 

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Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.


© E.Münzberger 

Letzte Überarbeitung: 9.2.1998