Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin
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  Merkblatt zur BK Nr. 1106: 
Erkrankungen durch Thallium oder seineVerbindungen 
 
 
 

Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen
Merkblatt zu BK Nr. 20 der Anl. 1 zur 7. BKVO
(Bek. des BMA v. 14. 6. 1962, BArbB1 Fachteil Arbeitsschutz 1962, 134) 

I. Vorkommen und Gefahrenquellen

Thallium (Tl) kommt in allgemeinen in geringer Konzentration in Blenden und Kiesen als Begleiter von Schwermetallen vor. Es wird aus dem bei der Aufbereitung dieser Mineralien anfallenden Flugstaub gewonnen. Tl findet sich auch im Bleikammerschlamm der Schwefelsäurefabrikation.

Tl gehört zu den Schwermetallen. Es steht im periodischen System zwischen Quecksilber und Blei. Sein spezifisches Gewicht ist 11,83, der Schmelzpunkt 302,5°; der Siedepunkt liegt etwa bei 1450°.

Tl ist in seinen Verbindungen I- und IIIwertig. Die einwertigen Verbindungen sind beim Erhitzen verhältnismäßig flüchtig. Tl-Verbindungen sind zumeist farb-, geruch- und geschmacklos; eine Aufnahme in den menschlichen Organismus kann daher unbemerkt erfolgen.

Tl oder seine Verbindungen werden vor allem in der Glas-, Farben- und pyrotechnischen Industrie zu wissenschaftlichen Zwecken und bei der Schädlingsbekämpfung als Tl-III-Sulfat in Form von Pasten, Körnern oder wäßriger Lösung verwendet. Außerdem waren Tl-Verbindungen in Enthaarungsmitteln enthalten.

Gefahrenquellen können sowohl bei der Gewinnung von Tl als auch bei der Herstellung, Verarbeitung und Verwendung von Tl-Verbindungen und thalliumhaltigen Präparaten gegeben sein.

II. Aufnahme und Wirkungsweise

Tl oder seine Verbindungen werden über den Magen-Darm-Kanal (z. B. durch Unsauberkeit der Hände ), zum Teil auch über die Atmungsorgane aufgenommen. Die starke Zellgiftigkeit wird auf die Blockade enzymatischer Vorgänge oder chemischer Veränderungen bestimmter Fermente zurückgeführt. Als tödliche Dosis gilt die Aufnahme von etwa 1 g Tl-Sulfat.

III. Krankheitsbild und Diagnose

In den ersten Tagen der Erkrankung bestehen häufig Brechreiz, Appetitlosigkeit, Obstipation, zum Teil starker Durst und Erbrechen. Tachycardie, Blutdrucksteigerung und retrosternale Schmerzen können auftreten. Entzündungen der Conjunktiven, der oberen Luftwege und der Gesichtshaut wurden beobachtet. Es kann sich ein ascendierend verlaufendes polyneuritisches Symptomenbild entwickeln. Vor dem Auftreten von Lähmungen finden sich oft abgeschwächte Knie- und Achillessehnenreflexe; später können diese fehlen. Die Hypersensibilität ist hervorstechend, es gehen ihr Kribbeln und Taubheitsgefühl in Fingern und Zehenspitzen voraus. Schmerzen in Füßen (burning feet) können so stark sein, daß bereits das Berühren der Bettdecke als unerträglich empfunden wird.

Nach größerer Dosisaufnahme kommt es nach etwa 14 bis 21 Tagen zu einem charakteristischen Haarausfall; die Haare lassen sich büschelweise schmerzlos ausziehen. Hiervon wird die gesamte Behaarung mit Ausnahme des medialen Anteils der Augenbrauen betroffen. An Finger und Zehennägeln treten hellweiße Lunulastreifen auf. Außer der peripheren Polyneuritis ist eine zentralmotorische Systemstörung im Sinne einer Bulbärparalyse möglich. Sind auch die Hirnnerven betroffen, so tritt häufig, aber relativ spät, eine Opticusneuritis auf. Psychische Veränderungen und psychotische Krankheitsbilder bis zum kompletten Korsakow können sich ergeben.

Eine regelmäßig festzustellende Schlafstörung ist gegenüber den üblichen Schlafmitteln therapieresistent.

Die chronische, schleichend verlaufende Erkrankung ist durch Appetitlosigkeit, Anacidität, Abmagerung, Sehstörungen, Schwäche und Schmerzen in Beinen ohne ausgeprägte Polyneuritis gekennzeichnet. Der Haarwuchs ist sowohl regional als auch temporär gestört, ohne daß ein Ausfall der gesamten Behaarung eintritt. Merkfähigkeitsstörungen, gelegentlich milde verlaufende neuritische Schübe und die Feststellung von Lunulastreifen an Finger und Fußnägeln, können für die Diagnosestellung des oft uncharakteristischen Krankheitsverlaufs wertvoll sein.

Im Harn sind oft Eiweiß, Zylinder und Erythrocyten nachzuweisen. Eine vermehrte Ausscheidung von Porphyrin ist möglich. Zur Diagnosestellung ist der Nachweis von TL in Urin und Faeces heranzuziehen. Er kann nach einmaliger Giftaufnahme bis sechs Wochen danach geführt werden. Bei geringer Dosisaufnahme sollte der Urin von drei hintereinander liegenden Tagen auf Tl untersucht werden.

Differentialdiagnostisch bedeutsam können Metallvergiftungen, wegen der neuritischen Symptome auch die Arsenvergiftung, die akute Porphyrie, die polyneuritische Form der Landryschen Paralyse sowie andere neurologische Erkrankungen sein.

IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung

Es muß festgestellt werden, in welcher Weise und in welchem Umfang der Erkrankte bei der Gewinnung, Herstellung, Verarbeitung oder Verwendung von Tl oder dessen Verbindungen tätig war. Oft können die Gefahrenquellen nur durch eine Betriebsbegehung gefunden werden.
Wir haben das Merkblatt für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen.  
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten. 
Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.

 

© E.Münzberger 

Letzte Überarbeitung: 1.3.1999