Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin
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  Merkblatt zur BK Nr. 1102: Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen 
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Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen
Merkblatt zu BK Nr. 15 der Anl. 1 zur 7. BKVO
(Bek. des BMA v. 19.5.1964, BArbB1 Fachteil Arbeitsschutz 1964, 129f) 

I. Vorkommen und Gefahrenquellen

a) Quecksilber (Hg) ist ein silberglänzendes, flüssiges Metall, das schon bei Zimmertemperatur verdampft. Es wird aus dem rostbraunen Zinnobererz, aus Hg-haltigen, sulfidischen Zink- oder Silbererzen, bei deren Verhüttung es als Nebenprodukt anfällt, sowie aus Flugstaub und Bleikammerschlamm der Schwefelsäurefabriken gewonnen. In der Natur kommt es gelegentlich als flüssiges, sog. Jungfernquecksilber vor. In Hg werden viele Metalle zu sog. Amalgamen gelöst. Diese, je nach Gehalt an Hg flüssig, plastisch oder fest, geben beim Erhitzen, z. T. auch beim Pressen, Hg in Dampfform bzw. als Flüssigkeit wieder ab.

b) Hg findet Verwendung z. B. zur Herstellung von Thermometern und Barometern, Gleichrichtern, Unterbrechern, Quecksilber-Dampflampem, in Thermostaten, in der Hochvakuumtechnik, zur Herstellung von Knallquecksilber, Quecksilberfarben, von Amalgamen in der Metallurgie, in zahnärztlichen Praxen und Laboratorien, als Katalysator, z. B. bei Azetaldehyd- und Essigsäureproduktion aus Azetylen, zur Abtrennung von Natrium bei der elektrolytischen Chlor-Alkaligewinnung sowie zur Herstellung von Quecksilberverbindungen.

Gefahrenquellen bestehen bei Gewinnung, Rückgewinnung, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Verwendung von Hg, insbesondere aber, wenn Hg verschüttet und der farb- und geruchlose Hg-Dampf oder Hg-haltige Staub eingeatmet wird.

c) Bedeutsame Hg-Verbindungen, die u. U. auch besondere Gefahrenquellen für die Gesundheit sein können. sind folgende:

1. Anorganische Hg-Verbindungen, wie

    Quecksilber-2-chlorid (Merkurichlorid - Sublimat HgCl2) als Imprägnierungsmittel für das Konservieren von Holz (sog. Kyanisierung, zum Verstärken photographischer Platten u. a., ferner Quecksilbercyanid (Hg[CN]2) und das officinell verwendete Quecksilberoxicyanid.
    Quecksilber-l-nitrat (Merkuronitrat - HgNO3 -) als Beize in Hasenhaarschneidereien und in der Haarhutindustrie.
    Quecksilber-2-sulfid (Merkurisulfid - Zinnober -) als häufig vorkommendes Quecksilbererz, rotes und gelbes Quecksilberoxyd (Hg0) als Oxydationsmittel und Katalysator zur Entschwefelung organischer Stoffe, beim Vergolden in der Porzellanmalerei und als Bestandteil zur Herstellung medizinischer Hg-Präparate,
    Quecksilber-l-chlorid (Merkurichlorid - Kalomel HgCl-) als Arzneimittel;
2. Organische Hg-Verbindungen, wie
    Knallquecksilber (Hg[CNO]2) als Initialsprengstoff zur Herstellung von Zündhütchen und Sprengkapseln, Quecksilberdialyle, z. B. das leicht flüchtige Methyl- oder Äthylquecksilber sowie Phenylquecksilbersalze und Quecksilberoleate als Fungicide, Saatbeiz- oder Holzkonservierungsmittel.

II. Aufnahme und Wirkungsweise

Hg oder seine Verbindungen werden beruflich bedingt vorwiegend in Dampf- oder Staubform eingeatmet; in geringerem Umfang ist auch Aufnahme über die Haut oder den Magen-Darm-Trakt möglich.
Hg ist ein Zell- und Protoplasmagift. Es kann in Leber und Nieren akkumuliert werden. An Albumine gebunden, wird es unterschiedlich schnell ausgeschieden.
 

III. Krankheitsbild und Diagnose

 a) bei Einwirkung von Quecksilber und seinen anorganischen Verbindungen:
    Die akute Form der Erkrankung infolge beruflicher Tätigkeit ist selten. Sie kann durch Einatmen größererMengen von Quecksilberdämpfen, gelegentlich auch durch orale Aufnahme von Quecksilberverbindungen, entstehen. Letztere verursacht metallischen Geschmack, Salivation, Brennen in der Speiseröhre, Erbrechen, Harnflut und häufig Albuminurie sowie evtl. Tenesmen. Die Ausscheidung von Hg durch Schweißdrüsen kann zur Dermatitis mercurialis, die durch die Parotis zur Stomatitis mercurialis führen. Schwere Krankheitssymptome sind blutige Diarrhoen, Schleimhautnekrosen in Dünn- und Dickdarm sowie Nierenfunktionsstörungen, die schließlich zu Anurie und Urämie führen können.

    Nach Einatmen größerer Mengen kann es zu einer Schädigung des Zentralnervensystems sowie zu Reizungen der Atemwege kommen. Die akute Form kann in die subchronische und chronische übergehen.

    Die chronische Form der Erkrankung entsteht in der Regel durch langzeitige Aufnahme kleinster Hg-Mengen. Zunächst treten unspezifische Allgemeinsymptome, wie Mattigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, auf. Vermehrte Salivation, allmählich sich entwickelnde Entzündungen des Zahnfleisches und der Mundhöhlenschleimhaut, Lockerung der Zähne, Zahnausfall, Rötung des Rachenringes (sog. Quecksilberrachen), u. U. auch auffallende Trockenheit der Mundhöhle können wichtige Hinweise sein. Seltener werden blau-violetter Hg-Saum am Zahnfleisch und Neigung zu Diarrhoen, Leber- und Nierenfunktionsstörungen beobachtet.

    Die chronische Form ist überwiegend durch Symptome von seiten des Zentralnervensystems gekennzeichnet. Hierzu gehören:

    Erethismus mercurialis, ein Zustand von ängstlicher Befangenheit, Empfindlichkeit, Menschenscheu, Schreckhaftigkeit, Stimmungslabilität, zeitweise hemmungsloser Erregung und unmotivierten psychischen Verhaltens.

    Tremor mercurialis, oft beginnend mit feinschlägigem Fingerzittern, allmählich übergehend in Schüttelbewegungen der Hände, der Arme, des Kopfes und der Beine. Mit Zunahme des Tremors ist häufig eine Steigerung der Sehnenreflexe zu beobachten. Eine Handschriftprobe kann die für den "Quecksilberkranken" oft typische Zitterschrift erkenntlich machen.

    Sensibilitätsstörungen, die an Rumpf und Extremitäten nachweisbar sein können.

    Sprachstörungen mit Stottern, Verwaschensein der Sprache, insbesondere beim Gebrauch von Zischlauten (sog. Psellismus mercurialis).

    Gleichzeitig hiermit lassen die Merkfähigkeit und später auch das Gedächtnis erheblich nach; ein allgemeiner Persönlichkeitsschwund ist festzustellen.

    b) bei Einwirkung organischer Hg-Verbindungen:

    Die akute bzw. subakte Form infolge Einwirkung flüchtiger organischer Verbindungen zeigt häufig zunächst das unter IIIa geschilderte Krankheitsbild meist mit leichteren Symptomen. Rasch können im weiteren Verlauf auf Encephalopathie beruhende Anzeichen, wie Anästhesien, Parästhesien, motorische oder sensible Lähmungen, Seh-, Sprachstörungen, Höreinbuße o. ä. auftreten.

    Auch die langzeitige Einwirkung geringerer Mengen kann zu einer Schädigung im Zentralnervensystem führen.

IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung

    Um das oft uncharakteristische Krankheitsbild richtig beurteilen zu können, ist die Arbeitsanamnese, insbesondere Art und Weise der Hg-Exposition, von Wichtigkeit.

    In Urin und Faeces wird Hg ausgeschieden; auf das Ergebnis exakter Untersuchungen in hierfür geeigneten Laboratorien ist besonders zu achten. Ein deutlich positiver Befund weist in der Regel auf die stattgehabte Exposition hin; eine Erkrankung braucht jedoch deshalb noch nicht zu bestehen.

    Reparabilität der durch organische Verbindungen aufgetretenen Schäden im Nervensystem ist fraglich. Tremor kann noch jahrelang nach Wegfall der Exposition nachweisbar sein.

    Auf Sensibilisierung beruhende Dermatitiden sind möglich; ggf. trifft dann Nr. 46* der Anlage zur 7. Berufskrankheitenverordnung zu.
     


    *) jetzt Nr. 5101
     

 
Wir haben das Merkblatt für Sie abgeschrieben und versucht, den Originalwortlaut ganz genau zu übertragen.  
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten. 
Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut.
 


© E.Münzberger 

Letzte Überarbeitung: 1.3.1999